mit Reem Alabali-Radovan, Integrationsbeauftragte der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern.
Die Zusammenfassung dient als Orientierung über das gesprochene Wort im Podcast, ersetzt ihn aber nicht und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die schriftlichen Antworten sind nicht im Duktus meiner Gäste gehalten. Es zählt nur das gesprochene Wort im Podcast.
Was macht eine Integrationsbeauftragte? 0:37
Integrationsbeauftragte sind Interessensvertreter von Migrant*innen, also Ansprechpartner für Zugewanderte und alle Menschen (Haupt- und Ehrenamt) die sich um die Belange von Zugewanderten kümmern.
Zusätzlich berate ich die Landesregierung in Sachen Integration und Überprüfung der politischen Ziele der Integration.
Welche Ziele habt Ihr? 1:21
Das Hauptziel der Integration ist die gesellschaftliche Teilhabe aller hier lebenden (migrierten) Menschen. Einbeziehung der Menschen aller Lebensbereiche, von Bildung, Politik über Arbeit etc. Das ist ein wechselseitiger Prozess. Die Bereitschaft der Zugewanderten muss da sein und gleichzeitig muss die Gesellschaft die Eingliederung ermöglichen. Dazu braucht es eine Chancengleichheit. Hürden dahingehend müssen von uns identifiziert und abgebaut werden.
Ist es die Aufgabe von Integrationsbeauftragten, dass Migrant*innen auch eines Tages in die Parlamente kommen? 2:48
Die Interkulturelle Öffnung ist ein großes Ziel. Dazu zählt natürlich auch die Diversität in der Politik. Landtagen, Bundestag und kommunale Ebene.
Da ist noch viel zu tun, die Repräsentation ist noch zu gering (sprich unterdurchschnittlich im Vergleich zur Bevölkerung).
Ein Grund dafür ist in vielen Fällen die fehlende deutsche Staatsbürgerschaft (also sind nicht wählbar) und für Deutsche mit Migrationshintergrund ist es schwierig Fuß zu fassen. Die Politik hat diese Zielgruppe noch nicht ausreichend entdeckt und bezieht sie zu wenig ein.
Warum müssen Menschen mit Migrationshintergrund in die Politik? 4:50
In einer repräsentativen Gesellschaft soll die Gesellschaft abgebildet werden. Und bisher gibt es nicht annähernd eine repräsentative Abbildung. Es muss ja keine Quote oder 1:1 Abbildung geben, aber es wäre gut, wenn die Perspektiven nicht stark unterrepräsentiert sind.
Es ist ähnlich wie bei der Thematik „Männer machen Politik für Frauen.“ Es ist gut, wenn Männer sich einsetzen, es ist aber nicht das Gleiche und nicht der Idealzustand.
Die Rassismusperspektive fehlt weißen Menschen schlichtweg, weil sie sie nicht erleben und daher macht es einen Unterschied, wer im Parlament ist.
Sind Intergrationsbeauftragte auch für weiße Migranten da? 8:00
Die Frage ist auch oft, wie identifiziert man sich selbst damit. (Sie meint vermutlich: Werde ich als Migrant als gelesen von der Gesellschaft)
Ich sehe mich hauptsächlich für Migrant*innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, weil hauptsächlich diese Menschen im Integrationsprozess sind. Menschen wie Bushido (das Beispiel habe ich, Fionn aufgebracht), sind Deutsche, aber da ist die Frage wie identifizieren sie sich selbst. Menschen die hier in der dritten Generation leben, Kinder der Gastarbeiter*innen, die fallen nicht direkt in den Bereich der Arbeit von Integrationsbeauftragten. Da ist die Frage auch: Wann ist die Integration abgeschlossen. Nur weil man PoC (People of Color) ist, muss man nicht integriert werden.
Wann ist die Integration beendet? 11:00
Das ist keine Sache der sauberen Abgrenzung. Da gibt es kein richtigen Anfang und kein richtiges Ende. Da wird viel darüber diskutiert. Die Bundeskanzlerin griff das Thema gut auf: Sie erzählte, dass ihr Urgroßvater sei Pole gewesen und niemand frage sie, ob sie integriert sei, aber Schwarze Frauen werden das dauernd gefragt.
Ich selber sehe mich als integriert an (sie ist nicht in Deutchland geboren), aber wann ich mich als intergiert sah, kann ich nicht sagen.
Woran macht man es fest? An der Teilhabe im Beruf, Ehrenamt oder Freizeit?
Hast Du Dich jemals nicht integriert gefühlt? 12:25
Bin ja schon früh nach Deutschland gekommen. Da bin ich direkt in die Schule und habe mich daher nie gefragt ob ich intergiert bin, da ich Teil der Gesellschaft/Schulklasse war.
Warum fragt mich als weiße Person niemand ob ich integriert bin? 13:10
Da muss die Begrifflichkeit ansehen. Typischerweise spricht man vom Begriff der Integration bei der Zuwanderung im Kontext der Flucht. Bei Zuwanderung aus westlichen europäischen Staaten oder bei Menschen die zum Studieren herkommen, spricht man nicht so häufig von Integration.
Kümmert man sich als Integrationsbeauftragte um das Thema Ost- und Westdeutsche Integration? 14:30
Westdeutsche in Mecklenburg-Vorpommern sind aber keine Migranten im Sinne meiner Arbeit.
Diesen West- und Ostunterschied habe ich erst im Studium in Berlin, fernab meiner Heimat Schwerin bemerkt. Ich „durfte“ mir dann Vorurteile über Menschen mit Migrationshintergrund anhören und zusätzlich über Menschen aus Ostdeutschland.
In Schwerin spielt die Historie von Ostdeutschland eine Rolle, weil die Migration hier ganz anders als in Westdeutschland ablief. Dadurch, dass in Westdeutschland die Gastarbeiter*innen, Migration aus Europa seit längerem Thema ist, fällt die Migration ab 2015 in Mecklenburg Vorpommern mehr ins Gewicht.
Welche Qualifikation braucht man für das Amt der Integrationsbeauftragten? 17:18
Man braucht Berührungpunkte, ggfs eine Perspektive oder mindestens den Willen zu Öffnung. Man braucht Geduld und Überblicksvermögen, denn das ist ein Querschnittsthema und da geht alles etwas länger und man muss Generalistin sein. Einen bestimmen Beruf oder Studium hingegen benötigt es nicht.
Es hat sich für mich nicht so angefühlt, dass die Landesregierung mich nur wegen meines Migrationshintergrundes benannt hat, weil ich schon davor in dem Bereich tätig war. Aber meine Sorge war, dass es von außen so wirken könnte, als hätten sie mich nur wegen meines Migrationshintergrundes ausgewählt. Aber das war dann nicht so. Also alles gut.
Haben alle Integrationsbeauftragten Diskrimierungserfahrung? 19:10
Nein, der Anteil der Menschen mit Migrationsbiografie ist eher gering. Es sind aber meist Menschen die bereits Berührungspunkte hatten.
Was war die letzten 20-30 Jahren wichtig? 20:15
Strukturen zu schaffen, wie bspw. Sprachkurse, Zugang zu Schulen, Unterbringungssituationen und Zugang zur Arbeitswelt.
Wenn man in den letzten 20-30 Jahren nach Deutschland gekommen ist, war es nicht so einfach Fuß zu fassen. Es fehlten Beratungsangebote, Hilfe beim „Umgang“ mit den Behörden, Alphabetisierungskurse, berufsspezifische Sprachkurse, etc. Umschreibung der Qualifizierung (also die Anerkennung von Studien- und Berufsabschlüssen). Daran hat man gearbeitet bzw arbeiten daran.
Chancengleichheit um sich auf dem Arbeitsmarkt zu bewähren, zu schaffen ist das Ziel. Ob es Geflüchtete oder Studierende sind, für beide gilt das.
Was ist aktuell wichtig? 25:12
Die größte Herausforderung sehe ich in dem gesellschaftlichen und friedlichen Zusammenleben. Die Akzeptanz der Mehrheitsgesellschaft für Migration und Integration ist wichtig. Die Themen Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit sind wichtig.
In der klassischen Integrationsarbeit sind institutionalisiert. Die Strukturen sind geschaffen und werden nun ggfs angepasst.
Die gesellschaftliche Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt ist ein langfristiges Thema an dem wir alle zusammen arbeiten müssen. Die Entwicklungen der letzten Jahre sind besorgniserregend. Wir arbeiten daran, dass es friedlich zusammen leben können.
Guckt Ihr mehr in die Vergangenheit oder in die Zukunft? 26:45
Wir gucken mehr nach vorne. Das aktuelle Integrationkonzept beinhaltet Ziele und Maßnahmen, aber vorwärtsgewandt.
Was wird wichtig in der Integrationsarbeit? 27:19
Die Knackpunkte Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit und menschengruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und mit dem Thema des Erstarken rechtsextremer Gruppen in Europa betrifft und das Thema alle. Das wird sich in den nächsten Jahren nicht lösen, da werden wir noch lange mit beschäftigt sein.
Die Morde in Hanau liesen auf Worte Taten folgen und zeigen damit, dass das Thema präsent ist.
Ist Rassimus überhaupt ein Arbeitsfeld der Integrationsbeauftragten? 29:00
Ja klar. Anhand der Randalen von Stuttgart und den Bemühungen der Polizei dann den Migrationshintergrund der Beteiligten zu ermitteln, ist deutlich geworden: Was muss geschehen, damit man nicht mehr als Migrant wahrgenommen wird? Ab wann ist man Deutsch?
Wenn auch die dritte Generation von der Mehrheitsgesellschaft nicht als Deutsch wahrgenommen wird, dann sinkt die Motivation sich zu integrieren oder als integriert zu fühlen.
Integration ist keine Einbahnstraße. Wir können von Zugewanderten nicht sehr viel fordern und dabei nicht das Klima schaffen, dass Zugewanderte akzeptiert und respektiert werden und dass die Menschen gerne zusammen leben.
Arbeitet Ihr mehr mit Migrant*innen oder mit Organisationen? 30:40
Wir arbeiten mit Migrantenorganisationen, Vereinen, Firmen, Arbeitsamt, Kommunen zusammen. Da ich auf Landesebene arbeite, arbeite ich eher in der Netzwerkarbeit. Auf kommunaler Ebene arbeiten die Integrationsbeauftragten auch im direkten Kontakt mit den Belangen von Migrierten.
Belehrt Ihr die Deutschen? Sagt denen, was sie falsch machen? 31:50
Wir belehren niemanden, aber wir umgehen die Diskussionen nicht und schreiten bei Rassimus ein. Wir arbeiten mit Trägern die politischen Bildung fördern, zusammen. So versuchen wir das Thema anzugehen.
Kümmert Ihr Euch um Einzelfälle? 33:08
Ja durchaus, aber erst, wenn es auf der kommunalen Ebene nicht weiterging.
Was wünschst Du dir für die Zukunft? 33:35
Dadurch dass das Thema Flucht nicht mehr so die Rolle in der politischen Debatte spielt, hoffe ich, dass nicht vergessen wird, dass Integration eine langfristige Thematik ist.
Und dass wir an den Diskriminierungsthemen als Gesellschaft weiter arbeiten, weil die Worte mittlerweile in die Tat umgesetzt werden (Hanau, Christchurch, Halle, Kassel etc).
Reem, Danke für das Gespräch. Bei weiteren Fragen: Schreibt uns: fionn@achdeswegen.de
Das Gespräch wurde 22. Juli 2020 über Telefon aufgenommen.
Foto von Reem Alabali-Radovan ist von Ecki Raff fotografiert.