mit Sonja Elser, Landesvorstand Aidshilfe Baden-Württemberg
Die Zusammenfassung dient als Orientierung über das gesprochene Wort im Podcast, ersetzt ihn aber nicht und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die schriftlichen Antworten sind nicht im Duktus meiner Gäste gehalten. Es zählt nur das gesprochene Wort im Podcast.
0:51 – Was ist die Aidshilfe?
Eine klassische Selbsthilfe-Organisation, Mitte/Ende der 80er Jahre entstanden. Entstanden aus Freunden und Angehörigen und Betroffenen Menschen. Es war anfangs viel Sterbebegleitung, weil es noch keine vernüftige Therapie gab und auch viel für einander einstehen. Heute gibt es die vernünftige Therapie und daher ist es mehr geworden als Sterbehilfe und Selbsthilfe. Wir arbeiten emanzipatorisch und solidarisch. Wir verbinden das Ehrenamt und die Selbsthilfe. Wir stehen für HIV Infizierte ein, gegen Diskriminierung, für Aufklärung, Prävention und als Stütze für HIV Infizierte und Angehörige. Wir entwickeln uns hin einer Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit.
2:52 Was ist Aids und HIV?
Wir reden generell von HIV, weil Aids etwas anderes ist. Weil der HI Virus der Auslöser für Aids ist. Wenn man die HI Viren alleine lässt, entwickelt sich das Krankheitsbild Aids. HIV ist Blut-zu-Blut und sexuell übertragbar an. Dieser Virus greift unsere CD4 T-Helferzellen an. Diese Zellen sind die „Koordinatoren“ unseres Immunssystems. Der „große Aufpasser“. Der HI Virus greift diese CD4 Helferzellen an. Der wandelt die CD4 Helferzellen so um, dass die nicht mehr arbeiten und dafür HI Viren produzieren. Also das virale DNA wird dann in die CD4 Helferzelle eingebaut (salopp formuliert). Das macht der Virus millionenfach. Und wenn die CD4 Helferzellen fast alle umprogrammiert sind, dann kann der Körper sich nicht mehr wehren und damit stirbt man an Krankheiten, die der Körper sonst gut im Griff hätte.
6:13 Wie finde ich heraus ob ich HIV habe?
Wenn Du einen Risikokontakt hattest, also beispielsweise wechselnde Sexualpartner*innen. Ggfs ungeschützten Sex gehabt oder mit unbekannten Menschen. Oder Du fühlst Dich danach etwas schlecht, grippeartig oder ähnlich. Dann ist es gut, wenn Du zu uns kommst. Wir haben hier Tests die wir hier vor Ort vornehmen können. Es gibt indirekte Tests, die gucken nach Antikörpern, nach 6 Wochen Abstand zum Risikokontakt. Ansonsten kann man den PCR-Test vornehmen, also direkt nach den Viren im Labor suchen. Wenn der Kontakt schon länger her ist, also nach rund 12 Wochen, geht das auch mit einem Schnelltest und ein paar Bluttropfen vom Finger.
7:32 Bilde ich immer Antikörper?
Ja, der Körper sieht einen Fremdkörper und untersucht den dann und gibt Antikörper „in Auftrag“. Manche Körper schaffen es auch den HI Virus im Griff zu haben. Also durchaus 10 Jahre oder dergleichen. Sie sind zwar hochgradig ansteckend, aber zeigen keine wirklichen Symptome oder bekommen Aids.
9:01 Wenn ich mich testen lasse und finde heraus, ich habe kein HIV in mir, was macht Ihr dann?
Uns ist die Präventionsarbeit wichtig und daher begrüßen wir es und empfehlen es, sich auf sexuell übertragbare Krankheiten testen zu lassen, wenn jemand wechselnde Sexualpartner*innen hat. Damit die Ansteckungen schnell erkannt und behandelt werden können.
10:06 Was haben andere sexuell übertragbare Krankheiten mit HIV zu tun?
Sie schwächen dein Immunsystem, die Schleimhäute im Gesicht und Schritt sind dann angegriffen und das Risiko für eine Zusatzerkrankungen erhöht sich.
11:40 Wie groß ist das Risiko einer Übertragung beim Geschlechtsverkehr mit einer HIV infizierten Person?
Es gibt es Menschen die stecken sich direkt beim Erstkontakt an. Wie es Menschen gibt, die die Babypille absetzen und direkt schwanger werden. Aber man sagt im Schnitt ist es jeder 1000 sexuelle Kontakt. Es gibt aber auch unterschiedlich hohe Risiken – je nachdem wie der Sexualkontakt war. Im Darm sitzt rund 80% unserer Immunsystems, daher ist der Analverkehr besonders risikoreich. Die CD4 Helferzelle sitzen genau da. Und die Viren haben es gut: Die können nicht raus, weil z.B. der Schließmuskel sie drinnen hält und weil der Weg kurz ist.
Wir haben insgesamt 89’000 HIV Infizierte (inkl. Dunkelzimmer) in Deutschland.
14:08 Wenn das Kondom platzt beim Sex mit einem HIV infizierten Menschen ohne Therapie – was passiert?
Das ist ein Risikokontakt, dafür gibt es sowas wie die „Pille danach“, PEP genannt. Bis zu 72h, wir empfehlen bis zu 48h, nach dem Risikokontakt kann man diese PEP für 4 Wochen nehmen, dann unterdrückt der in aller Regel eine Infektion. Aber ich würde die PEP auch dann empfehlen, wenn der Status des Gegenüber unbekannt ist. Das bespricht man dann mit ärztlichem Rat.
16:30 Wie kann ich mich anstecken mit HIV?
Es gibt medizinische Richtlinien an denen sich Ärzt*innen orientieren bevor die PEP (eine „Pille danach“) verschreiben. Und daran orientiert wird PEP für hetereosexuellen Kontakt nicht mehr verschrieben. Nichtsdestotrotz, weil auch dieser Kontakt ist gefährlich, weil das Sperma ist infektiös. Das Vaginasekret ist hauptsächlich während der Periode (mit Blut) infektiös. Oralverkehr gilt als nicht ansteckend. Auch nicht das Schlucken von Sperma (Voraussetzung keine offenen Wunden im Mund und Rachen). Der Speichel verteidigt das gut und im Magen ist aus die Maus. Blut zu Blut ist ansteckend. Also beispielsweise beim Drogengebrauch mit dem selben Spritzbesteck. Daher fordern wir geschützte Räume mit sauberem Spritzbesteck. Im Gefängnis wird leider viel Spritzbesteck geteilt. Speichel oder Tränenflüssigkeit sind nicht ansteckend. Nasensekret auch nicht. Schweiß und Talg natürlich auch nicht. Also weder Handshake, noch Toilettensitz teilen. Nur wenn man deutlich mehr als 7 Liter Speichel schlucken würde, gäbe ein Risiko – also mehr eklig als realistisch 😀 Erste Hilfe leisten, du kannst Blut auf der Haut haben, selbst wenn Du kleine Verletzungen an der Haut hast und darauf Blut eines HIV infizierten Menschen drauf kommt, Türgriffe, alles nicht ansteckend. Schwimmbad nicht und kuscheln nicht. Daher reden wir von einer sexuell übertragbaren Krankheit. Blut zu Blut ist ja echt selten. Der Virus braucht echt ganz hervorragende Bedingungen. Der braucht ja auch die CD4 Helferzellen und die gibt es nicht überall im Körper. Im Darm aber in großer Zahl, daher ist es dort risikoreich. Muttermilch kann den Virus in sich tragen und ist damit ansteckend. Aber es gibt mittlerweile Therapie die so gut wirkt, dass die Virenlast so geringt wird, dass sie unter die Nachweisgrenze rückt und damit Kinder nicht mehr angesteckt werden würden. In der Schweiz ist die Praxis daher, dass die HIV infizierten Mütter ihre Kinder stillen. Wir in Deutschland sind da skeptischer, weil in der Muttermilch ja auch die Antiviralen Medikamente drinnen stecken. Darmschleimhautsekret ist infektiös.
24:10 Kann ich mich an HIV infizierten anstecken?
Wenn sie nicht Therapie sind, ja. Aber wenn sie therapietreu sind (also die Therapie machen), dann sinkt die Virenlast unter die Nachweisgrenze und damit kann man sich nicht mehr anstecken. Weder beim Sex, noch Blut zu Blut oder anders.
24:10 Kann man als HIV infizierte Person Kinder kriegen ohne diese anzustecken?
siehe vorherige Antwort. Spoiler: Ja.
26:05 Kann ich als HIV infizierte Person Blut spenden?
Nein, auch wenn die Virenlast unter die Nachweisgrenze sinkt. Weil in der Blutkonserve wären Antikörper und Medis drinnen.
27:35 Sind Homosexuelle in der Risikogruppe?
Naja, das hat viel mehr mit der sexuellen Aktivität zu tun. Analsex ist halt (Ausführungen siehe weiter oben), risikoreicher. Daher reden wir nicht von „Risikogruppe Homosexuelle Männer“ sondern „Risikogruppe Männer die Sex mit Männer haben“. Das Risiko steigt am allermeisten bei wechselnden Sexualpartnern und mit unbekannten Menschen. Und man kann sich schützen mit Kondomen, mit Therapie (Schutz durch Therapie – also wenn man Sex mit HIV infizierten hat, die therapietreu in Behandlung sind), nur Oralverkehr oder durch PREP (das ist quasi wie die „Pille“, die in aller Regel eine Ansteckung unterdrückt).
30:30 Gibt es eine Pille danach oder Pille davor?
Ja, PREP (davor) und PEP (danach) genannt. Ja, langfristig gibt es immer Mal wieder Stoffwechselerkrankungen und auch die Niere und Leber sind angestrengter. Daher muss man PREP unter Beobachtung halten.
33:30 Wie schnell bin ich ansteckend, nachdem ich angesteckt worden bin?
Ziemlich schnell. Innerhalb von 24h übernimmt der Virus einige Zellen. Viele sind infiziert und bemerken es gar nicht und stecken dann andere an.
Zusatz: die Deutsche Aidshilfe hat in ihrer Broschüre folgendes geschrieben:
Akute Phase
Bei Infektion auf sexuellem Wege erfolgt der starke Anstieg der Viruslast in der Regel nach 2 bis 3 Wochen. Manchmal ist der Viruslastanstieg allerdings verzögert – bis zu 6 Wochen nach Risikokontakt. In den ersten 4 Tagen nach sexueller Exposition ist im Blut normalerweise noch kein Virus nachweisbar, der Infizierte ist dann noch nicht infektiös – dies ändert sich allerdings geradezu schlagartig, wenn dann die Viruslast innerhalb weniger Tage auf extrem hohe Werte (Hunderttausende oder Millionen Viren pro Milliliter Blut) „in die Höhe schießt“. Die Viruslast im Sperma bzw. den genitalen Sekreten folgt der Entwicklung im Blut um 1,5 bis 2 Wochen verzögert. In dieser Phase ist die HIV-infizierte Person besonders infektiös!
34:10 Was sind die Symptome einer HIV Infektion?
Grippeähnlich, hohes Fieber, schlapp, Hautausschlag, Nachtschweiß, Lympfknoten schwellen an. Da drängt sich nicht eine HIV Infektion als Grund auf – daher wird es oft übersehen. Dann sind die Symptome weg und dann gibt es immer Mal wieder Krankheitsverläufe, wo die Viren sich „zurückziehen“ und die Aktivität runterschalten. Auch über Jahre. Aber man ist ansteckend. Daher ist der Test wichtig für Menschen mit Risikokontakten. Bei den Aidshilfen gibt es kostenlose, anonyme Tests.
35:45 Wann fängt man mit der Therapie an?
Je früher man anfängt, desto besser. Desto mehr Helferzellen man hat, desto besser regeneriert man sich. Früher hat man lange gewartet, weil die Nebenwirkungen damals so stark waren. Da war es oft so, dass die Leute lieber untherapiert blieben als an den starken Nebenwirkungen zu leiden. Oft sind die Leute an den Nebenwirkungen gestorben und nicht an Aids. Heute ist es genau umgekehrt.
37:10 Angenommen ich stelle fest, dass ich HIV habe und komme dann zu Euch. Was passiert dann?
Wir schicken Dich zu einem HIV-Schwerpunktarzt und dort wird ein Blutlabortest gemacht um auf Nummer sicher sicher zu gehen. Dort wird auch die Viruslast gemessen. Wir reagieren in der Aidshilfe auch beim positiven Ergebnis des Schnelltests, als wäre es ein sicheres Ergebnis. Der Schnelltest reagiert nämlich auch auf andere wenige Krankheiten. Diesen Menschen, die mit solch einem Ergebnis konfrontiert werden, zieht es in der Regel erstmal den Boden unter den Füßen weg. „Mein Leben ist zu Ende, hat alles keinen Zweck mehr.“ Wir versuchen die Menschen dann aufzufangen und nicht alleine zulassen. Wir probieren dann diesem Menschen das zu geben, was er gerade braucht. Psychologische Unterstützung oder praktische Hilfe wie Begleitung zum HIV Schwerpunktarzt.
Weil die psychische Belastung der Diagnose regelmäßig sehr groß ist, ist da ein Arbeitsschwerpunkt. Die Menschen brauchen dafür einfach Zeit. Wir klären dann die Tage danach auf, was es heutzutage heißt mit der Krankheit zu leben. Wie wirken Medikamente, kann man heilen oder damit leben? Was für Einschränkungen habe ich etc.
40:15 Wie schlimm ist es mit HIV zu leben? 1:21:50 Welche Nebenwirkungen haben die Medikamente?
Kommt darauf an, wer die Diagnose bekommt. Rund die Hälfte der Menschen bleiben nachher ganz normal im Berufsleben. Wenn der erste Schock verdaut ist und die Medikamente gut eingestellt sind, dann leben die so gut wie ohne Einschränkung. Die Medikamente sind so gut geworden, dass viele nicht Mal mehr Nebenwirkungen haben, nach der Einnahme der Medikamente nach 4 Wochen. Nebenwirkungen sind Übelkeit, Appetitlosigkeit oder großer Appetit, Müdigkeit und Schlappheit, Schwindel und langfristig Nieren- oder/und Leberbeschwerden und oft auch Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes. Aber es geht schnell, dann ist man unter der Nachweisgrenze. Das heißt auch, dass man nicht mehr ansteckend ist und damit auch niemanden mehr informieren muss. Manche gehen damit transparent um, andere behalten es für sich.
Man kann mit den Medikamenten Alkohol trinken, alles essen, ganz normal Sport machen, auch ein Marathon sind HIV Infizierte schon gelaufen – an HIV liegt es nicht, dass man keinen Marathon laufen kann. Auch Drogen oder andere Medikamente sind nicht gleich tödlich, aber wie auch ohne HIV nicht folgenlos. Bloß Grapefruit oder Johanneskraut sollte man nicht konsumieren – aber das ist der Klassiker bei Medikamenteneinnahmen. Und man sollte die Medikamente schön treu einnehmen, damit die Medikamente ihre Wirkungsweise nicht verlieren.
Die Menschen, die die Diagnose aus der Bahn wirft, haben meist weitere Schwierigkeiten im Leben. Also typischerweise drogensüchtige, inhaftierte, psychisch angeschlagene Menschen etc. Das sind rund ein Drittel der Menschen.
44:15 Muss ich meinen Arbeitgeber oder Gesundheitsamt informieren?
Du bist ärztlich registriert, Deine Erkrankung wird anonymisiert für die Statistik hinterlegt, aber Du hast ein Recht auf die Schweigepflicht. Weder Dein Arbeitgeber muss Bescheid wissen, noch darf der Arzt es weitererzählen. Du hast ja ganz normale arbeitsrechtliche Rechte. Es gibt eine Deklaration „Positiv miteinander leben“ mit über 50 Unternehmen, angestoßen von der Aidshilfe, auch große Unternehmen sind dabei (IBM, Bosch, Daimler etc) haben unterschrieben, dass sie ein positives Statement abgeben, dass sie mit HIV positiv Menschen unterstützend umgehen und willkommen heißen und nicht ausgrenzen. Damit das Stigma weggeht. „Du hast Rheuma? Oh Du armer! Du hast HIV? Bääääh!“ – die soziale Ächtung ist nach wie vor da.
46:10 Soll man sich outen?
Da empfehle ich jedem, dass er/sie es sich genau überlegt, weil die Informationslage nicht sehr gut ist in Deutschland. Da hat man mit dem Stigma zu leben.
46:45 Stellt sich den Infizierten die Frage, wen sie ggfs angesteckt haben?
Die Frage, wen man angesteckt hat, stellt sich für die wenigsten. Oft ist es auch nicht rückwärts nachvollziehbar. Wann habe ich die Ansteckung bekommen, mit wem hatte ich Sex, habe ich noch Kontakt zu allen? Daran sieht man, dass es schwer wird. Wenn man in einer festen Partnerschaft ist, da stellt sich dann durchaus die Frage. Und wir begleiten gerne diese Phase mit den Paaren.
Wir empfehlen bis die Therapie anschlägt zu verhüten.
47:50 Diskutiert Ihr die moralische Verantwortung der Ansteckung?
Wir legen keinen moralischen Maßstab an das Verhalten der Menschen. Die Menschen selber oft schon. Viele infizieren sich beim Fremdgehen oder wenn sie Praktiken oder Sexpartner*innen haben, die sie selber für moralisch fragwürdig einstufen. Beispiele: Sex des Ehemannes mit einem Sexarbeiter auf einem Parkplatz oder im Bordell. Wir werten das aber nicht, wir haben die akzeptierende Haltung, bekannt aus der Sozialen Arbeit.
48:40 Helft Ihr mir beim Outing bei meinem Partner oder Kindern?
Wir helfen gerne beim Gespräch. Aber wir outen niemanden. Wir begleiten und unterstützen gerne.
49:30 Was habt Ihr für Selbsthilfeangebote?
Wir haben Buddy-Projekte (Patenschaft) und Betroffenengruppen. Also wo frisch infizierte und länger infizierte miteinander reden und sich begleiten können.
50:08 Wie oft muss ich zur ärztlichen Betreuung?
Vierteljährlich. Da bekommst Du das Medikament für die drei Monate verschrieben, Blutwerte werden getestet und sonst auch vieles gecheckt. Aber man muss jetzt nicht alle paar Tage hin.
50:40 Kann ich weiterhin arbeiten?
Ja klar. Weil Du in Behandlung ja unter der Nachweisgrenze bist. Auch im medizinischen Bereich ist das kein Problem. Selbst Chirurg*innen, die noch als Ausnahme gelten, sind in der Diskussion zugelassen zu werden. Alleine für Menschen die in der Flugbranche arbeiten, ist es „gefährlich“. Weil es eben Länder gibt, die Homosexualität unter Strafe stellen und erst recht den Sex oder die Medikamente verboten haben. Daher muss man darauf achten, wo man hinreist.
52:15 Gibt es Diskriminierung von HIV infizierten Menschen?
Ja, klar. Ist einer der größten Themen der Aidshilfe. Und schlimmerweise ist die größte Gefahr von Diskriminierung im Gesundheitswesen. Zusammen mit der Zahnarztkammer hat die Aidshilfe mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und dem Robert Koch Institut bspw ein Programm aufgestellt, das aufklären soll. Ein Beispiel: Ein Klient von mir sagte: Ich habe beim Zahnarzt angerufen für einen Termin und der entgegnete mir: „Ja, am Freitag 18.30 – da sind alle Helfer*innen weg und danach kann ich das Zimmer gründlich desinfizieren.“
Das ist Unwissenheit. Bei solchen Zahnärzt*innen rufe ich auch gerne Mal an und spreche das an. Bei besagtem habe ich das getan und gesagt: Eigentlich müsste ich Sie jetzt der Kammer melden, weil man ja davon ausgehen muss, dass Sie nicht nach jedem Patient*innen die Zimmer ordentlich richten.
Du bist dann unter der Nachweisgrenze und wirst dennoch diskriminiert.
Anderes Beispiel: Du kommst ins Krankenhaus, sagst es transparent und dann steht dick und fett auf dem Deckblatt Deiner Akte „HIV +“, sodass es jeder der vorbeikommt sieht. Das ist oft ein Zwangsouting. Oder im Mehrfachbett-Zimmer wird man dann mit besonders großem Hygiene Aufwand behandelt, da fragt sich die Person daneben auch irgendwann, was das soll und man wird somit indirekt geoutet.
Auch in Pflegeheimen ist es ein Thema – da muss Aufklärung hin.
56:25 Woher wissen die Ärzte von der Infektion?
Die HIV positiven Menschen gehen gegenüber Ärzten oft transparent und offen um. Wenn Menschen immer irgendwas verstecken müssen, dann verkümmert irgendwas in einem. Plastisches Beispiel: Ich habe einen Mann kennengelernt, der ist schon über 70 Jahre alt, der seine Homosexualität nie geoutet hat. Hatte nie eine Alibi-Frau oder dergleichen. Er hatte sich Außendienstlerjob besorgt um auswärts Erfahrungen machen zu können. Der war so in der alten Tradition verhaftet, der hat ein lebenlang also etwas verheimlicht und streckenweise auch gedacht, er könne „geheilt“ werden. Dann hat er sich irgendwann auch die Infektion zugezogen. Und als er Mal im Krankenhaus wegen was anderem war, hatte er als ehrliche Haut es halt mal gesagt, aber sich dann nach einer Woche verlegen lassen, weil er das Stationsgespräch geworden ist. Er hatte so Panik, dass er in diesem hohen Alter noch mit Repressalien leben müsse (durch das doppelte Outing).
59:10 Wie funktionieren die Medikamente?
Unterschiedliche Wirkungsweisen:
- Es gibt welche, die das „Andocken“ an die T-Helferzelle verhindern.
- Es gibt welche, die verhindern, dass die DNA des Virus die DNA der T-Helferzelle umprogrammieren/überschreiben können.
- Es gibt welche, die die bereits infizierte T-Helferzelle beim Vermehren stoppt.
Die beste Wirkung ergeben sie in der Kombination – daher nimmt man sie kombiniert.
1:01:15 Kann man Pausen machen? Stichwort Resistenzen?
Mit Einschränkungen, ja. Wenn man regelmäßig nichts nimmt, kann es sein, dass die hohe Virenlast zurückkommt. Oder auch, wenn man viel und lange Durchfall oder Erbrechen hat. Das Problem ist, dass die Viren „clever“ sind und dann die Wirkungsweise „durchschauen“ und Resistenzen bilden und damit immun werden gegen bestimmte Medikamente. Es gibt zwar mehrere Varianten der Medis, aber am Ende des Tages sind diese begrenzt und es fallen auch mehrere Kombinationen hier und da aus, weil manche Menschen bei bestimmten Kombinationen zu starke Nebenwirkungen haben. Oder man muss mit ihnen leben. Daher ist die Therapietreue sehr wichtig und nur in Absprache sollte man die Medikamente absetzen. Für den Urlaub gibt es ja auch die Möglichkeit die Tabletten ggfs umzupacken etc.
Das Problem mit der Therapietreue ist hauptsächlich ein Problem für Menschen die sonst auch Herausforderungen im Leben haben. Drogenabhängige beispielsweise. Bevor es Prep gab (also praktisch die Verhütung auf medikamenten Basis) haben die Menschen oft ihre Präperate verkauft um die Drogen zu finanzieren. Und dann kann es knapp werden mit Möglichkeiten der Behandlung, wenn die Menschen nicht therapietreu sind.
1:04:50 Bekomme ich einen Schwerbehindertenausweis und kann ich eine Lebensversicherung abschließen?
Die gesetzliche Krankenversicherung nimmt Dich an und es ändert sich nix. Die privaten Krankenkassen verlangen teils hohe Prämien, sind halt die Privaten. Und Lebensversicherung oder Berufsunfähigkeitsversicherungen haben in der Tat oft solche Ausschlussklauseln. Einen Schwerberhindertenausweis gibt es nicht, weil man es ja nicht ist.
1:06:10 Muss ich beim Sex sagen, dass ich HIV+ bin?
Nein, wenn Du verhütest natürlich nicht. Entweder Kondom nutzen oder Schutz durch Therapie. Es ist lebensfern anzunehmen, dass die infizierten Menschen fahrlässig oder gar vorsätzlich damit umgehen.
1:08:25 Statistisch gesehen – bin ich schon Mal jemand mit HIV+ begegnet?
Ja, ist wahrscheinlich. Aber was sagt das aus? Es ist auch wahrscheinlich, dass Du Mal einem Mörder, oder Sexualstraftäter oder Betrüger begegnet bist. Anmerkung: Ich habe das gefragt, weil ich damit zeigen wollte: Ja, es ist wahrscheinlich und man denkt sich auch dann nix. Aber wenn man bewusst jemanden trifft, dann zeigt sich, dass das Stigma in der Gesellschaft durchaus vorhanden ist. Und ich wollte mit der Frage zeigen, dass es es spektakulär unspektakulär ist mit HIV+ Menschen zu sein.
Wir haben bei Besuchen in z.B. Gefängnissen als Aidshilfe immer wieder jemanden mit HIV+ und outen, wenn überhaupt, erst irgendwann am Schluss mal beiläufig.
Aus einer Broschüre der Aidshilfe von 2012:
HIV ist also in unterschiedlichen Gruppen unterschiedlich stark verbreitet. Zur Verdeutlichung ein Beispiel:
In ein Fußballstadion passen 50.000 Menschen. Würden sich dort nur Heterosexuelle treffen, wären darunter 125 HIV-positiv (0,025%, bei 10.500
HIV-positiven bundesweit und ca. 40 Millionen sexuell aktiven erwachsenen Heterosexuellen).
Würden im gleichen Stadion 50.000 homosexuelle Männer sitzen, wären davon 3.500 HIV-positiv (ca. 7,0%).
1:13:40 Ist die Forschung weitergekommen? Die Gesellschaft?
Seit den Anfängen in den 70-80er Jahren sind extrem große Fortschritte gemacht worden. Heutzutage erkrankt so gut wie niemand in Therapie mehr an Aids, die Lebenserwartung ist mittlerweile wieder gleich hoch, wie ohne Infektion. Die Fortschritte der Gesellschaft gegenüber der Erkrankung sind dagegen erschreckenderweise gering. Hier ist der Hauptansatzpunkt unserer Arbeit. Oft verlieren Menschen Kontakt zu Freunden und Familie oder sie verlieren die Libido auf Grund des Drucks/Stigmas.
1:17:25 Wie lange braucht man die Aidshilfe als betroffener Mensch?
So lange die Menschen es brauchen um so selbstbestimmt wie vor der Infektion zu leben. Die Krankheit soll nicht mehr Stellenwert im Leben bekommen, wie nötig. Wir helfen den Leuten gerne dabei, dass sie so leben, dass die Wirkungsweise der Medikamente hoch bleibt. Alle Vierteljahr zum Arzt, Medis und Blutwerte und dann fertig. Wir haben offene Treffs wo man einfach Mal einen Kaffee trinken kann und mit uns quatschen und wir haben auch die Möglichkeit Termine zu vereinbaren für Diskretion oder Gespräche mit Angehörigen/Freunden.
1:18:40 Macht Ihr Sterbebegleitung? Oder Testamente mit HIV+ Menschen?
Seitdem die Medikamente so gut sind, ist das kein wirklicher Arbeitsbereich von uns. Es gibt selten Mal Menschen die mit Zusatzerkrankungen noch HIV dazu bekommen, dann sieht es manchmal medizinisch schlecht aus. Aber das ist ein Randthema, welches wir begleitend auch angehen – auf Wunsch.
1:20:02 Ist HIV eine Krankheit oder nur Aids?
Ja, weil die Zellen vom Virus ja schon übernommen worden sind. Ist also eine chronische Krankheit. Leider bisher nicht heilbar, weil noch nicht herausgefunden ist, wo der sich ansiedelt im Körper. Der ist so klein, dass er nicht lokalisierbar ist. Und wenn die Krankheit nicht behandelt wird, führt sie ja zum Tod.
1:24:10 Wer finanziert Euch? Seid Ihr ein Verein?
Der Landesverband BaWü ist ein Verein und wir werden vom Sozialministerium finanziell des Landes unterstützt und bekommen auch Geld von der Gemeinschaftsförderung der gesetzlichen Krankenkassen.
1:25:30 Was macht Ihr für Eure Mitglieder? Seid Ihr vernetzt?
Wir sind die Vermittlerin für die Mitglieder zwischen Verwaltung, Politik, Öffentlichkeit. Wenn es darum geht Beschwerden mit der Landesärztekammer abzuklären oder mit dem Landesverband der Apotheken die Einführung von beispielsweise der Selbsttests abzustimmen. Viele Apotheken wussten ja nicht, wie man die Tests bedient und wie sie funktionieren. Wir haben drei der Tests ja mitentwickelt und auf die Bedienung optimiert. In diesen Packungen der Tests ist auch ein Zettel mit unserer Nummer drinnen. Wir informieren die Apotheken also auch darüber, dass die Tests Hand und Fuß haben und dafür sind wir da.
1:26:40 Geht Ihr in Schulen mit der Aidshilfe? Geht Ihr zu „Schwulentreffpunkte“?
Ja, das machen wir. Nicht der Landesverband, sondern die Aidshilfen vor Ort. Wir gehen auch vor Ort in die „Szenearbeit“. Suchen Orte auf, wo MSM (Männer Sex mit Männer) (Anmerkung: Schwulentreffpunkte ist keine gute Bezeichnung, weil es zu verkürzt ist. Es geht um MSM.) sich auch aufhalten. Klubs, Parkplätze oder Party-orte. „Bewaffnet“ mit Kondome, Gleitgel und Infomaterial und Gesprächen.
Wir gehen auch zu Geflüchteten (Projekt „Salam“), gerade die Menschen die aus Ländern kommen mit einer hohen Rate an infizierten Menschen und klären auf.
1:28:30 Wie gut ist die Aidshilfe vernetzt?
Wir vernetzen uns mit allen möglichen Sozialverbänden. Sind auch im Paritätischen Verband. Wir gehen bspw. auf die Neujahrsempfänge der Parteien. Wir sind vernetzt mit den LGBT+ Vereinen, weil das auch ein Thema bei uns ist. Thema Outing oder auch Geschlechtsangleichungen. Damit haben wir immer wieder zu tun und daher sind wir hier auch da vernetzt und im Gespräch.
Wir sind ja ein Zentrum der sexuellen Aufklärung. Und da kommen daher auch Leute mit Fetischen zu uns, die auch im Alltag den Fetisch leben. Diese Menschen kommen ja auch nicht in die typischen Beratungsstellen. Wir haben den lebensweltorientierten Ansatz.
1:30:40 Seid Ihr mit den Parteien verbandelt?
Nein, wir reden mit allen außer der AfD. Sind aber als Verband auch kein Mitglied einer Partei.
1:31:10 Seid Ihr mit Unternehmen vernetzt?
Wir führen Gespräche und gemeinsame Projekte. Wie der Deklaration der über 50 Arbeitgebern zu „Positiv gemeinsam leben“. Und wir sind vernetzt mit Gruppen in Unternehmen wie den „Regenbogen Gruppen“. Und Firmen stellen uns oft Fragen, die wir gerne beantworten.
1:33:05 Was ist das Ziel der Aidshilfe?
Wir, Landesverband BaWü, wollen flächendeckend die Aidshilfe aufrecht erhalten. Sodass gerade auch auf dem ländlichen Raum die Betreuung gut ist. Das Stigma, die Diskrimierung der sexuellen Vielfalt ist auf dem Land erfahrungsgemäß höher als in der Stadt. Und da braucht es noch viel Aufklärungsarbeit.
Also: Flächendeckende Betreuung und Aufklärung zur Zeit.
Wir würden uns freuen über eine Anti-Diskriminierungsstelle, weil es geht ja auch um sexuelle Diskriminierung und Ausgrenzung, Stichwort Homophobie oder die Diskriminierung im Gesundheitswesen. Aber da helfen Gesetze wenig, da hilft Aufklärung. Die bestehenden Gesetze sind hilfreich, das funktioniert an sich gut.
Wir hätten gerne einen größeren Anteil in der ärztlichen und pflegerischen Ausbildung mit dem Thema. Und das die Fortbildungen darauf aufmerksam machen.
Und die Gelder für die Forschung vergrößern, sodass die Heilung vielleicht eines Tages Wirklichkeit wird.
Sonja, Danke für das Gespräch. Bei weiteren Fragen: Schreibt uns: fionn@achdeswegen.de
Das Gespräch wurde 5. Oktober 2019 aufgenommen.