mit Wulf Daseking Leiter Stadtplanungsamt a.D. Freiburg
Die Zusammenfassung dient als Orientierung über das gesprochene Wort im Podcast, ersetzt ihn aber nicht und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die schriftlichen Antworten sind nicht im Duktus meiner Gäste gehalten. Es zählt nur das gesprochene Wort im Podcast.
Hinweis: Wulf redet engagiert und nimmt auch mal Umwege. Mir gefällt das Interview sehr, weil es für mich nicht langweilig gehalten ist. Daher mein Tipp: Hört Euch das Interview an. Da lernt man, finde ich, viel mehr als beim Lesen der Zusammenfassung. Gerade in dieser Ausgabe des Podcasts. Enjoy!
Was ist Stadtplanung? 0:34
Das Zusammenwirken aller Kräfte einer Stadt. Kultur, Verkehr, Strukturell, Ästhetik, … Das Abwägen der einzelnen Sachgebiete zu einem Gesamtwerk. Es geht um die aktive Stadtentwicklung. Aufspüren von Trends und die Strukturen dafür dann bereitstellen. Beispiel: Wo sind Bauernmärkte und Supermärkte? Wenn ich möchte, dass die Stadtteile gestärkt werden, dann kann ich nicht große Supermärkte draußen auf der grünen Wiese fördern. Stadtplanung mischt sich ein und geht über die normalen Wahlperioden von Politik hinaus und kann damit langfristiger denken und unbequemer. Man wirkt ja in bestehende und „gut“ funktionierende Gebiete und Abläufe, das macht nicht gerade beliebt. Man muss immer im Gesamtkontext denken. Einzelne Projekte in einer Stadt machen noch keine Stadtplanung aus.
Ist Stadtplanung immer Neuplanung? Oder Nachjustieren? 6:35
Mehr Justieren als Neuplanung. Es verändert sich mehr, als das neu gebaut wird. Die Statistiken helfen einem dabei. Ist ein Viertel überaltert? Wo findet die Kriminalität statt? Vermögensverteilung? Berufe? Nur Professor*innen? Wie wird gewählt? Ziel ist es eine große Mischung hinzubekommen. Das belebt. Wie gehe ich mit neuem Verkehrsaufkommen um? Wie gehe ich mit Dingen wie veränderten Geschäftsmodellen um (Stichwort große Ketten, Onlinehandel, Tourismus)?
1910 kam das Wort Township Planning auf. Warum zu diesem Zeitpunkt? 13:19
Die industrielle Revolution brachte Neuerungen. Man ist unabhängig vom Wasser (Fluss, Seen) und konnte völlig standortunabhängig mit der Dampfmaschine Fabriken bauen. Dort wo die Wege gut waren, wo Platz war etc. Das führte zu richtig miesen Wohnbedingungen, Wohnungen neben rußenden Fabriken etc. So kam man auf die Idee der Stadtplanung. Da haben sie sich erstmal auf die Straßenführung konzentriert. In Berlin sieht man das gut. Da gibt es diese „sieben Höfe“ mit ganz furchtbaren Wohnbedingungen. Licht und Luft war kein Thema. Innenhöfe so groß, dass eine Feuerwehrspritze sich drehen konnte. Der öffentliche Raum wurde garniert und geplant. Man konnte fertig Häuserfassaden, Uhren, Parkbänke und als Stadt kaufen. Aber wie die Qualität jenseits der öffentlichen Räumen war, war nicht von Interesse.
Dann kam auf die Idee verschiedene Disziplinen zusammen zu bringen. Lebensqualität, Wirtschaftsinteressen, Ingenieurskunst etc. So entstanden bessere Sanitäranlagen, bessere Wohnräume, Sportplätze, Parks, Lokalitäten wie Post und Bäckereien, Häuser mit Gärten und bezahlbaren Wohnraum. Man verstand, dass es ab sofort interdisziplinär sein muss. Nach dem WW1 Krieg kam das Thema Wohnungsnot auf und damit das Thema Stadtplanung.
Welche Diskussionen gab es dann?
Wie soll Wohnraum gebaut werden? Es gab Bewegungen wo die Betonung auf Licht, Sonne und Luft geachtet wurde. Kleine Häuser am Rande der Stadt mit eigenem Garten zur Selbstversorgung. Aber ohne gescheite Anbindung an den sowieso schon schlecht ausgebauten Nah und Personenverkehr.
Kein Privathaus durften während der NS Zeit höher als 2 Geschosse sein, das war den Nazis vorbehalten. Es gab also immer wieder verschiedene Vorstellungen.
Nach dem zweiten Weltkrieg gab es wieder große Wohnungsnot, weil die meisten Städte völlig kaputt waren. Nun war die Frage: Wie baue ich eine Stadt auf. Zwei Positionen waren in der Diskussion:
- Stadt der Trennung. Arbeit und Privatleben
- Wir bauen die Stadt einfach wieder auf, mit neuen Ideen.
Hannover kaufte Parzellen auf und konnte damit neue Straßenzüge aufbauen. In Münster haben sie die alten Strukturen wieder aufbauen wollen, wie in Freiburg auch. Diese beiden Positionen schlugen aufeinander. Stadt der Trennung hatte zur Folge, dass die Menschen viel mit dem neu aufgekommenen Auto herumfuhren. Die Stadt der Autos. Die Leute waren froh, weil man endlich draußen billig wohnen konnte auf der grünen Wiese. Hatte oft Bedienstete. Man war zwar weit draußen, aber hatte ja das Auto. „My home, my castle“ wie die Engländer sagten und lebten.
Was machen technische Entwicklungen mit der Stadt? Am Beispiel Automobile. 33:40
Man braucht dann auch Platz für Tankstellen, Autowerkstätte etc. Ein Auto zu haben zeigt(e) den sozialen Status. Man hat damals die Zunahme der Autos unterschätzt. Die Abwägung zwischen Platz für die Autos und dennoch Platz für die Fußgänger. Da gab es Ansätze, die nach heutigem Maßstäben aber schrecklich sind. Man hat schnell gemerkt, dass in den Innenstädten der Autoverkehr und der Fußverkehr kollidierten. Die Stadt wollte gerne Fußgängerzonen, der Handel sorgte sich um Umsatzverluste durch Fußgängerzonen. Aber sie setzte sich durch. Zur Freude des Handels. Das Thema ist übrigens wieder modern: Wie wollt Ihr Euch fortbewegen? Verändert das eAuto was? ÖPNV? Wie bewertet Ihr die Ökologie? Stadplanung darf hier nicht verordnen, sondern muss ermöglichen.
Beispiel Freiburg. Wir liegen im Dreieck Deutschland, Frankreich, Schweiz. Die Güter die von Paris nach München, Griechenland gehen, müssen oft hier vorbei. Also stellte sich vor vielen Jahren die Frage: Wohin bauen wir die Durchgangsstraße? Sie entschieden sich nicht für die Umgehungsstraße, sondern für die Straße direkt am Fluss mitten durch die Stadt. Es ist zum Heulen (aus meiner heutige Sicht). 42:18
Als Student hatte ich mal so ein Projekt, wo meine Gruppe einer Stadt vorschlug, die Straße vom Fluss zurückzunehmen. Der Fluss war tot und dreckig. Die Stadt hatte für uns nicht mal ein müdes Lächeln übrig. Viele Jahrzehnte später machen sie genau das, was wir damals vorschlugen: sie nehmen die Straße zurück. Also Stadtplanung braucht einen langen Atem.
In Freiburg gab es wunderbare Pläne für eine Straße an der Stadt vorbei. Der Planer wurde damals ausgelacht. Die BWM Fraktion hatte nämlich was dagegen. Die Bäcker, Metzger und Wirte wollte den Durchgangsverkehr für ihre Umsätze. Das tat dem Planer sicherlich weh, dass die Straße mitten durch die Stadt ging. Aber manchmal muss man es aushalten und akzeptieren, denn man weiß letztendlich auch nicht ob die Ideen eines Planer*in nicht doch eine zu große Zumutung/Vision für die Bevölkerung ist. In der Sache recht zu haben, reicht nicht. Es muss zu der Bevölkerung passen.
Beispiel: Es gibt eine wunderschöne Brücke in Freiburg. Die ist super wichtig. Wir haben damals entschieden den Autoverkehr dafür zu sperren. Alle haben uns gewarnt. Aber die Stadt hat es vertragen und nun sind wir heilfroh.
War die Durchfahrtsstraße vielleicht richtig damals und heute wäre die Umgehung besser?
Heute umbauen wäre richtig, aber teuer und heftig. Es gibt ja Pläne, die Straße unter die Erde zu bringen mit dem Stadttunnel. Aber mal real-politisch gesprochen. Wieso soll das uns der Bund finanzieren? Als Abgeordneter denke ich mir doch: In einer Stadt in der die Leute schon wie im Himmel leben, soll sooo ein teurer Bau kommen? Da gibt es attraktivere Kosten-Nutzen Projekte in Deutschland. Auch unter dem Thema Wählermaximierung.
Wenn man Freiburg sich von oben ansieht, dann gibt es so abwechselnde „Schläuche“ von bebauten und unbebauten Gebieten. 50:30
Nach dem 2. WK ist das Finger-System gekommen. Man stellt sich das so vor: die Innenstadt ist die Handfläche. Dann geht’s raus, wie die Finger, bebaut. In den Zwischenräumen gibt es dann Naherholung, grün. In die „Finger“ baut man in der Mitte den ÖPNV. Dort wo unsere Fingerknöchel sind, bildlich gesprochen, baut man Haltestellen und kleine Zentren auf. Apotheken, Kiosk, Supermarkt, Banken, Polizei, Begegnungsstätten. Von den Punkten ausgehend hat man den Ausbau des Fuß- und Radverkehrs in die Naherholungsgebiete gebaut. Kopenhagen das vorbildlich gemacht. Hamburg gar nicht. Die haben sich nicht am Fingersystem orientiert, sondern am „Federsystem“. Die Bereiche zwischen bebaut und unbebaut sind nicht mehr klar, sondern es ist eine ungemeine „Brühe“ geworden. Und völlig autobezogen gebaut.
Im Ruhrpott ist es oft auch so. Durch politischen Druck aus der Bevölkerung wurde die klare Auftrennung kaum möglich. Städteplanung ist auch immer Ergebnis der politischen Kultur/Atmosphäre.
Kann man als Europäer*in auch in anderen Kulturen als Stadtplaner*in erfolgreich arbeiten und andersherum? 59:18
Kulturelle und religiöse Hintergründe verändern Ziele, Wünsche, No-Gos völlig. Aber man kann sich ja auf gemeinsame Punkte einigen, die sind überall gleich. Beispiel: Thema Sicherheit. Ressourcen schonend, Wohnen. Wir können von anderen lernen und andere von uns. Und die Bedürfnisse von Menschen weichen ja sowieso von einem ab, daher muss man sich immer auf „andere“ Bedürfnisse einrichten. Andere Umwelten bedürfen anderer Lösungen. Es gibt Städte die Plätze freigeben für Slums und stellen den Bewohner*innen Wellblech und Bambus zur Verfügung. Was die daraus bauen ist unglaublich. Unsere Ansprüche zählen beispielsweise in Indien gar nicht. Sowas zu machen, ist das Gebot der Stunde. Sie wissen bloß manchmal nicht, wie man das umsetzt und da können dann auch ggfs ortsfremde Menschen stadtplanerisch unterstützen.
Oder Thema Sicherheit: Oft gleichgesetzt mit Polizeipräsenz. Klappt aber kaum. Durchmischung hilft enorm. Offene Straßenräume, Beleuchtung, Heckenrückschnitt.
Es gab eine Stadt, da hat die Stadtspitze mit Arbeitslosigkeit gekämpft. Haben organisiert, dass Leute anderen Leuten was beibringen, Müll und Stadtreinigung. Wer das macht, der bekam Gutscheine für Schulhefte, Stifte etc oder für Musikunterricht oder dergleichen.
Auch Seoul, Südkorea, die hatten den Verkehr versucht loszubekommen, indem sie eine Hochstraße bauten. Also eine Straße mit Auf- und Abfahrten, aber einige Meter auf einer langen Brücke über der Stadt. In der Hoffnung, dass unten weniger los sein wird. Pustekuchen. War nun oben und unten voll. Beides verstaut. Also haben sie den Mut gefasst und von einem Tag auf den anderen den Verkehr nur noch unten zugelassen. Oben haben sie für Freizeit, Spiel und Spaß freigegeben. Das gibt’s so ähnlich auch in New York. Das ging so schnell, da können wir von der Geschwindigkeit uns noch was abschauen, imho.
Welche Fragen sind die Fragen der Zukunft? 1:10:10
In Deutschland wird es insofern interessant: Wie will Deine Generation leben? Langfristig wohnen? Zur Miete? Eigentum? Wohnungen mit festen Wänden oder mal die Wände raus und wieder rein nehmen? Werdet Ihr auf das Auto bestehen? Wollt Ihr urban leben oder im grünen? Diese Fragen gilt es zu klären.
Dubai ist völlig auf Konsum und Autos ausgelegt. Ist das gute Stadtplanung? 1:13:30
Naja. Ob die Bedürfnisse erfüllt werden, ist die eine Sache. Aber es ist eine Sache des Überflusses, klimaschädlich etc. Vollgas gegen die Wand. Also wenn man diesen Aspekt mit rein nimmt, dann sieht es schlecht aus. Das ist meine europäische Sicht. Die Menschen dort sind stolz darauf, dass sie aus dem Fischerdorf etwas geworden sind. Sie sind wollen zeigen, dass sie wer sind. Leute die aus bescheidensten Verhältnissen kommen, die sehen vermutlich gar nicht, dass sie maßlos sind. Wenn wir aber so weltweit bauen, dann fahren wir gegen die Wand. Dubai fand Eingang beim Preis auf den World City Of The Year. Die Ökonomie-Fortschritte wurden anerkannt, aber die Ökologie oder der Autoverkehr, der war so weit weg von dem, was die Juror*innen dort als gute Stadtplanung sehen, dass Dubai nicht gewinnen konnte. Für Menschen die sich daran nicht stören, ist das durchaus eine tolle Stadt.
Wie beurteilt man gute Stadtplanung? 1:19:43
Es gibt weltweit unterschiedliche Ansätze. Wir in Deutschland diskutieren ewig über einzelne Windräder. Die US-Amerikaner sind da rigoroser. Ein Mal die Entscheidung für Windräder getroffen, wird das alles zugepflastert. Fledermäuse sind bedroht? Ach, komm. Bau die Dinger.
In Asien sind die mehr am Abwägen, aber machen es auch anders. Es gab da einen Fluss, völlig verdreckt. Die Stadt bot technische Hilfe und Expertise und auch Geld, die Firmen mussten sauberes Wasser in den Fluss ableiten. Als sich nichts tat, schickten sie Marinetaucher rein und verstopften die Rohre, sodass die Brühe bei denen raus kam. Zack, hat sich was getan. Da waren die rigoroser als wir es kennen, aber mit vorheriger Chance. Die brauchen in Asien eher einen starken Leader, als wir hier. Die Mentalität spielt eine große Rolle.
Wir haben den Rhein erst völlig verdreckt. Bayer, der Pharmakonzern, verdreckte da alles. Die Fischer beschwerten sich. Die Gerichte sagten dann: Die Arbeitsplätze bei Bayer sind wichtiger als die Fischer. In China sagt man: Will ich das, mach ich das. Harte Hand. In Deutschland kommt es dann meist von unten, aus der Bevölkerung. Und als die Bevölkerung dann auf die Barrikade ging, wurde der Rhein durch verschiedene Aktionen sauberer.
In Deutschland leben die Leute zunehmend immer mehr Leute gerne in den Ballungszentren. Freiburg, München, Berlin, Hamburg und weniger kleine Städte. Was tun? 1:25:30
Ich bin ja nur Stadtplaner, kann mich in der Region umschauen, aber das ist nicht meine ureigene Aufgabe. Es gibt Bereiche, da könnte man mehr machen. Mit staatlichen Hilfen in Form von Geld und Infrastruktur. Aber es gibt keine richtigen Handlungsansätze dafür. Ich sehe sie nicht. Das ist ein Problem. Ich sag mal: Wenn Wolfsburg schnupfen hat, hat das Land hohes Fieber, liegt der Ministerpräsident auf der Intensiv. Das liese sich vermeiden, wenn man mehr für die Zwischenbereiche täte.
Wulf, Danke für das Gespräch. Bei weiteren Fragen: Schreibt uns: fionn@achdeswegen.de
Das Gespräch wurde 20. Februar 2019 aufgenommen.