mit Lothar Binding, Mitglied des Bundestags
Die Zusammenfassung dient als Orientierung über das gesprochene Wort im Podcast, ersetzt ihn aber nicht und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die schriftlichen Antworten sind nicht im Duktus meiner Gäste gehalten. Es zählt nur das gesprochene Wort im Podcast.
Was ist die Aufgabe des Bundestages? 0:47
Der Bundestag hat auch den Namen Gesetzgeber. Das heißt wir „geben Gesetze“. Aber wie läuft das ab? Und welche Anlässe gibt es? Es gibt (Verfassungs-)Gerichtsurteile die Dinge verbieten, Bürger*innen die gegen Gesetze oder Umstände klagen. Und es gibt Gemeinden und Unternehmen die uns rückmelden, dass es Handlungsbedarf gibt. Dies oder jenes Gesetz belastet und zu unrecht oder oder. Dann gibt es eine weitere Quelle: Der Bundesrat sagt uns immer wieder, dass es Wünsche aus den Bundesländern gibt. Und die Bundesregierung kann Gesetzesvorhaben auf die Tagesordnung setzen.
Wie sieht eine typische Arbeitswoche im Bundestag aus? 3:07
In Berlin ist die Woche sehr streng strukturiert. Das gilt für alle Fraktionen und alle Mitglieder des Bundestags. Wir sind meist 22 Wochen im Jahr in Berlin, die Sitzungswochen sind von Montag bis Freitag. Wochenends ist man meist nicht in Berlin, sondern bundesweit unterwegs, oft auch im Ausland. Die restlichen Wochen des Jahres ist man im Wahlkreis. Das ist die Region in der man gewählt wird und in der man rund 250’000 Menschen vertritt.
Die Woche erklärt sich „rückwärts“ am einfachsten. Donnerstags und Freitags sind die Plenumssitzungen mit den Abstimmungen. Wie man den Bundestag typischerweise kennt. Dort diskutieren wir über die Gesetzes-Vorschläge (meist von der Bundesregierung kommend) und stimmen dann ggfs ab. Die Vorschläge sind erstmal nur Entwürfe die zur Diskussion stehen und nach der zweiten und dritten Lesung wird es dann ernst.
Was passiert zwischen der ersten und zweiten Lesung? Also zwischen Entwurf und Abstimmung? Da finden die Beratungen statt. Diese finden in den Ausschüssen statt. Die tagen tags zuvor: am Mittwoch. Es gibt beispielsweise den Umweltausschuss, Finanzausschuss, Sportausschuss etc, eine ganze Reihe. Die Fraktionen schicken also ihre Spezialisten in die jeweiligen Ausschüsse. Und dort wird dann haarklein alles diskutiert. Paragraf für Paragraf. Und für die ganz spezielle Fachexpertise kommen noch die Experten aus den Ministerien. Die sind hoch spezialisiert, manchmal so stark, dass es für den Absatz A eine*n Expert*in gibt und für den Absatz B eine andere Person. Daneben gibt es noch die parlamentarischen Staatssekretäre. Das sind Mitglieder des Bundestages, die aber auch im Ministerium arbeiten und damit je ein Bein in beidem haben. Damit der Kontakt zwischen Parlament und Ministerium gut bleibt. Wenn wir dann diskutieren und uns auf Änderungen verständigen konnten, dann hilft uns das Ministerium mit Formulierungsvorschlägen. Wir setzen die politischen Schwerpunkte und die Expert*innen unterstützen uns in der Umsetzung.
Dienstags tagen die Arbeitsgruppen. Da treffen sich die jeweiligen Expert*innen aus den Fraktionen. Also die Leute aus einer Partei/Fraktion die gemeinsam in einem Ausschuss sitzen. In diesen Arbeitsgruppen bereiten sie den Mittwoch in den Ausschüssen vor. Da bleiben sie unter sich und können frei reden. Da können auch Ideen im Anfangsstadium und auch Wissenslücken geäußert werden, ohne dass man Angst haben muss von der Presse und dem politischen Gegner an die Wand gefahren zu werden. Diese intimen Treffen sind notwendig um sich kreative und gute Lösungen einfallen lassen zu können. Und es geht auch darum, wie die Strategie und Taktik für die Verhandlungen in den Ausschüssen sein wird. Und am Dienstag wird auch oft festgelegt, wer und wie lange reden darf im Plenum am Donnerstag und Freitag.
Montags ist Organisationstag. Sitzungen mit Mitarbeiter*innen, da treffe ich mich als Finanzpolitischersprecher der SPD Bundestagsfraktion auch mit meiner CDU Kollegin, der Finanzpolitischensprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, dann treffe ich mich auch mit dem Finanzminister, dem Fraktionsvorstand. Da sprechen wir die Themen der kommenden Woche an und wie die Abläufe sein sollen. Montagabend ist das Treffen der Landesgruppen. Da treffen sich jeweils die Mitglieder einer Fraktion aus einem Bundesland.
Was mache ich eigentlich abends oder am frühen Morgen? Da finden die Lobbygespräche statt.
Warum ist das Plenum, der Bundestag so oft leer? 16:30
Weil ich am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag und Freitag Finanzpolitiker bin. Wenn aber am Donnerstag oder Freitag im Plenum Kultur dran ist, dann kann ich dazu wenig sagen. Da arbeite ich dann lieber im Büro und konzentriere mich auf meine Aufgaben. Siehe auch nächste Frage.
Woher weißt Du, was die anderen Mitglieder machen? 16:52
Dienstagnachmittag tagt die Fraktion. Vormittags eben die besagten Arbeitsgruppen. Dort haben wir ja die Themen besprochen und machen daraus einen kleinen Kurzvortrag um die anderen Fraktionsmitglieder zu informieren. Die geben dann Rückmeldung ob sie das so mittragen würden oder nicht. Und wenn sie das tun, dann weiß auch der Koalitionspartner, dass die gesamte Fraktion dahinter steht und damit haben wir eine bessere Verhandlungsposition am Mittwoch im Ausschuss und wenn es zu engen Abstimmungen kommen sollte, dann hätten wir diese auch am Donnerstag oder Freitag im Plenum. Zu engen Abstimmungen kommen dann auch wirklich alle ins Plenum und arbeiten nicht anderweitig.
Was ist Fraktionsdisziplin? 18:55
Die Fraktionsdisziplin gibt es, den Fraktionszwang nicht. Denn jede*r im Parlament ist ja nur seinem Gewissen verpflichtet. Ein großer Unterschied. Wenn man im Parlament immer meint, dass man den besten Weg kennt und dauernd gegen die Mehrheitsmeinung der Fraktion abstimmen würde, dann muss man sich schon fragen, ob man noch in der richtigen Fraktion ist. Die Bürger*innen haben bei der Wahl ja auch festgelegt, dass meine Fraktion eine bestimmte Stärke haben soll. Wenn ich diese Stärke aber permanent schwäche, dann ist das ein Demokratieproblem. Und es ist ja auch so, dass wenn man immer gegen die anderen stimmt und dann selber Mal ein Vorhaben hat, dann stößt das sicherlich nicht auf viel Gegenliebe. Einzelgänger erreichen wenig. Hat auch viel mit Vertrauen zu tun. Denn ich als Finanzexperte muss mich auf die Expertise der Kulturexperten verlassen. Manchmal gibt es das, dass ich Hinweise bekommen habe, dass mein*e Expert*in daneben liegt oder es anders sieht, dann kann ich auch mal gegen dem Strom abstimmen und vorher auch bitte diskutieren.
Und es gibt auch auseinander gehende Ansichten, je nach Thema. Thema Kohleabbau beispielsweise. In meinem Wahlkreis ist das kein Thema, also gehe ich mit dem Kohleausstieg lockerer um, als in Kolleg*innen aus Abbauhochburgen.
Was machen Lobbyisten? 22:05
Bevor der normale Ablauf im Parlament beginnt, treffe ich mich morgens und wenn der Tag beendet ist, abends mit Lobbyisten. Was gibt es für Lobbyisten? Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), AWO, Lehrer, Jugendliche etc. Fast alle Gruppen in der Gesellschaft haben Vertretungen in Berlin. Sie nennen sich gerne Verbindungsbüros. In Berlin gibt es rund 5200 Büros, zum Vergleich: in Brüssel sind es weitüber 20’000 (sind ja auch paar mehr Mitgliedsstaaten).
Wenn die Lobbyisten uns Parlamentarier so sehr beeinflussen würden, dass wir ihnen nach dem Mund reden würden, dann haben wir was falsch gemacht. Wir versuchen mit möglichst vielen Lobbyisten zu reden – über das selbe Thema. Wir müssen aufpassen, dass wir auch alle Perspektiven aufnehmen. Beispielsweise Thema Gesundheit. Wir sprechen mit Pharmakonzernen, Apotheken, Krankenhäusern, Krankenkassen und Ärzten. Wir dürfen dann aber nicht die Patient*innen und Mitarbeiter*innen in Krankenhäusern etc vergessen. Die Lobbyisten helfen uns dabei Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Diese sind meist sehr einseitig vorgetragen, aber das ist ja dann unsere Aufgabe die Perspektiven zusammenzutragen. Wenn nach einem Gesetz eine Vertretung extrem zufrieden ist, dann haben wir etwas falsch gemacht. Denn das kommt in der Gesellschaft selten vor, dass eine Gruppe sehr zufrieden ist und keine andere sehr unzufrieden. Wir sind ja oft auf dem Pfad der sozialen Gerechtigkeit, man kann aber auch sagen, dass wir versuchen die Ungerechtigkeit gleichmäßig zu verteilen. Die Lobbyistengespräche bringen uns Fachexpertise und Spezialwissen. Das hilft uns bessere Gesetze zu machen.
Was machst Du am Wochenende? 27:03
Freitagnachmittag wollen wir meist schnell weg aus Berlin. Weil es oft Abendveranstaltungen gibt. Man hört Vorträgen zu, besucht Veranstaltungen im Wahlkreis oder hält selber Vorträge oder oder. Der Freitagnachmittag ist zwar Teil der Sitzungswoche, wird aber gerade nachmittags und abends für Termine außerhalb Berlins genutzt.
Samstag und Sonntags ist deshalb wichtig, weil man da die Leute trifft, die unter der Woche arbeiten müssen. Es gibt dann immer wieder alle möglichen Arten von Festen. Kirchenfeste, Sportfeste, Stadtfeste und vieles mehr. Da gehen viele von uns hin, weil wir so gesehen werden und weil uns die Bürger*innen so ansprechen können. Eine Mail oder einen Brief zu schreiben stellt oftmals eine Hürde dar. Gerade für die „armen“ Leute. Die reichen schreiben uns Briefe, oft auch über Anwälte etc. Aber die Normalverdienenden sprechen uns viel lieber an, als uns zu schreiben – meine Erfahrung zumindest. „Wenn ich Sie schon mal hier habe! Ich habe da ein Problem mit dem Jobcenter/Gesetz/Nachbarn/Bauvorhaben etc“
Sonntagabends gehe ich persönlich mit meiner Frau tanzen und essen. Wenn die Woche darauf Sitzungswoche ist, fahre ich mit dem Nachtzug nach Berlin und wenn nicht, dann bleibe ich im Wahlkreis.
Wie kommt man in den Bundestag? 30:20
Im Regelfall braucht man eine Partei, ansonsten wird es extrem teuer. Wenn wir beide im selben Wahlkreis in den Bundestag wollten, dann würden wir beide für die Bundestagswahlkandidatur kandidieren und unserem Kreisvorsitzenden Bescheid geben. Der/die würde dann mehrere Termine im Kreis organisieren wo wir beide unsere Ideen und Standpunkte vertreten könnten vor den Mitgliedern unseres Kreisverbandes. Am Ende gäbe es dann eine Mitgliederversammlung des Kreises auf der die Mitglieder darüber abstimmen würden, wer von uns beiden bei der nächsten Wahl für den Wahlkreis kandidieren darf.
Es gibt aber auch noch einen Weg in den Bundestag und zwar über die Landesliste. Dort gibt es wieder eine Wahl darüber, wer auf welchen Listenplatz kommt (je höher, desto besser).
Wie kommt man also rein? Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder man gewinnt den Wahlkreis. Also holt so viele Stimmen wie sonst niemand im Wahlkreis, dann ist man sicher im Bundestag drinnen. Es gibt 299 Wahlkreise in Deutschland, also 299 Abgeordnete die ihren Wahlkreis gewonnen haben. Da die Bürger*innen aber nicht nur ihren Kandidierenden im Wahlkreis wählen konnten, sondern auch die Partei ihrer Wahl (und damit die grobe Richtung der Politik), soll am Ende der Bundestag genau dem parteipolitischem Gewicht entsprechen, das die Leute gewählt haben.
(Ergänzende Worte von mir, Fionn) Am Beispiel der Bundestagswahl 2017: 33% Union, 20,5% SPD und 8,9% wollten die Menschen (der Einfachheit halber nur die drei Parteien betrachtet). In den Wahlkreisen haben sie aber andere Entscheidungen getroffen: rund 77% aller Direktmandate hat die Union gewinnen können, die SPD nur 19,7% (also schon nah dran) und die Grünen nur 0,3% aller Direktmandate. Wenn man also nur über die Direktmandate einziehen könnte, dann würde das den Wählerwillen nicht gut abbilden. Durch die Landeslisten herrscht mehr Demokratie, denn die federn die Mängel des Systems der Direktwahl ab. Die Grünen haben 67 Sitze im Bundestag, obwohl sie nur einen Wahlkreis gewinnen konnten. Das kommt über die Landeslisten zustande. Sie haben also über ihre Liste so viele Menschen in den Bundestag entsenden können, bis die 8,9% aufgefüllt waren. Die Union hat logischerweise mehr Menschen in den Bundestag entsenden können, als ihnen eigentlich zusteht. Es gilt: Wer den Wahlkreis gewinnt, der kommt sicher rein – als Überhangsmandat. Auch wenn am Ende des Tages die Prozente nicht mehr stimmen. Das wird ausgeglichen mit den Ausgleichsmandaten. Das kann man ungefähr so vergleichen wie, wenn man zuviel Salz in die Suppe gemacht hat. Dann macht man halt etwas mehr Wasser dazu, bis es wieder stimmt. (Ende meiner Anmerkungen.)
Wie kannst Du die Interessen des Wahlkreises und des Bundes unter einen Hut bringen? 36:10
Sätze wie: „Ich kämpfe für meinen Wahlkreis“ finde ich sehr ungeschickt. Denn mit dieser Haltung bekommt man im Bundestag nichts hin. Wenn jede*r nur an sich denken würde. Ich sehe meine Aufgabe im Wahlkreis als diese an: Wenn ich Probleme identifiziere, die es an vielen anderen Stellen in der BRD auch gibt, dann können wir daran gemeinsam (Wahlkreis übergreifend) arbeiten und für den Wahlkreis und für Deutschland generell etwas erreichen. Ich meine an der Formulierung einiger Kollegen auch von deren Einstellung etwas zu erfahren. Wenn sie sagen: Ich bin für die Partei im Bundestag statt ich bin von der Partei im Bundestag, dann wirkt das auf mich so, als würden sie Politik für die Partei statt für die Bürger*innen machen. Und generell zum Thema Wahlkreisinteressen: Wenn ich sehr stark die Interessen des Wahlkreises vertrete, dann bin ich sozusagen Lobbyist für den Wahlkreis. Das wäre nicht gut, wenn Lobbyisten im Parlament sitzen würden.
Wie viel verdienst Du? Und hast Du Nebeneinkünfte? 38:32
Natürlich gibt es Leute mit Nebeneinkünften. Gerade bei Rechtsanwält*innen ist das verständlich, denn wenn die ihre Kanzlei vollständig aufgeben würden für 4, 8 oder noch mehr Jahre, dann wären sie quasi abhängig vom Mandat, weil der Aufbau einer Kanzlei inkl. Kundenstamm ist nur schwer und mühlselig möglich. Wenn die also auf kleiner Flamme ihre Arbeit fortführen, dann ist das nachvollziehbar. Aber eigentlich ist das Mandat mehr als tagfüllend. Geschäftsführer oder dergleichen ist in meinen Augen nicht nebenher machbar, der macht dann seinen Beruf als Abgeordnete*r nicht richtig. Man gerät zudem in den Verdacht, dass man für seine Chefs/Arbeitgeber ein besonders offenes Ohr hat. Das halte ich für schwierig und daher halte ich es für klug, wenn man nebenher keinen Job hat.
Wir bekommen ja rund 10’000€ im Monat Brutto, daher wären wir auch gar nicht angewiesen auf einen Nebenjob. Die Höhe entspricht einem Richtergehalt, Besoldungsgruppe R6. Ein bisschen „komisch“, anders ist es im Vergleich zu Selbständigen. Die dürfen ja ihre Ausgaben steuermindernd geltend machen, also absetzen. Wir nicht. Dafür bekommen wir eine extra Pauschale an Geld das wir ausgeben dürfen. Wenn wir es ausgeben, dann bleibt uns privat nichts davon übrig (so ist es angedacht für die Büros in Berlin und im Wahlkreis und für Aktionen), wenn wir aber weniger ausgeben (also weniger Mitarbeiterlohn, weniger Aktionen oder oder), dann steigt unser Lohn. Das ist so, aber gefällt mir nicht.
Kann man Euch besuchen im Bundestag? 43:40
Jede*r Kolleg*in hat die Möglichkeit rund 100-150 Besucher*innen im Jahr aus dem Wahlkreis einzuladen. Die bekommen dann den Reichstag gezeigt, ein Ministerium, Berlin an sich und sprechen mit ihre*m Abgeordnete*n. Man lernt die Strukturen und Gebäude kennen. Viele Besucher*innen ziehen daraus einen großen Mehrwert, weil sie sich so das alles besser vorstellen können.
Wenn 700 Mitglieder des Bundestag jedes Jahr rund 100-150 Leute einladen, dann hat das auch eine große Breitenwirkung in die Gesellschaft hinein.
Die Anmeldung läuft typischerweise über das Wahlkreisbüro ab, also einfach kontaktieren und nach dem Besuch fragen.