mit Marina Weisband, Diplom Psychologin
Die Zusammenfassung dient als Orientierung über das gesprochene Wort im Podcast, ersetzt ihn aber nicht und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die schriftlichen Antworten sind nicht im Duktus meiner Gäste gehalten. Es zählt nur das gesprochene Wort im Podcast.
Was ist Psychologie? 0:35
Die Wissenschaft wie Menschen denken und was in ihnen vorgeht. Es gibt mehrere Richtungen der Wissenschaft, beispielsweise gibt es eine Richtung die forscht wie „alle“ Menschen denken und eine Richtung die forscht daran, wie die Menschen sich unterscheiden.
Wo gibt es die Psychologie? 0:55
Sie ist in Europa „gegründet“ worden und war anfangs auch sehr eurozentristisch. Sie funktioniert und wird überall gebraucht auf der Welt.
Könntest Du mit Deiner deutschen Ausbildung auch außerhalb Europas arbeiten? 1:15
Ja, ich müsste aber die Tests mit denen wir dann arbeiten überprüfen. Denn unterschiedliche Kulturen, haben unterschiedliche Wahrnehmungen und Rituale etc. Beispielsweise würden Ukrainer Leute die in der Hocke beten nicht so „zielsicher“ als betende Menschen erkennen, weil Ukrainer für gewöhnlich im Stehen beten. Das heißt, wenn man in der Ukraine Tests mit Fotos von kniend Betenden durchführt, würde das Ergebnis verzerrt. Solche Effekte muss man beachten. Ansonsten ist das Arbeiten das Gleiche.
Was arbeitet gleich bei den Menschen?
Neuropsychologie, das Sehen und Riechen ist gleich. Aber Werte, Moral oder auch die Art und Weise wie Intelligenz strukturiert ist. Daher ist es sehr ungeschickt Intelligenztests von einem Kontinent zum Nächsten zu bringen. Böse gesagt: Ein Intelligenztest misst nur Folgendes: Wie gut man Intelligenztests bestehen kann. In Europa tendieren die Tests dazu geometrische Körper im Hirn rotieren zu lassen und Ähnliches. Z.B. Musikalische Komponenten fehlen da gänzlich.
Psycholog*innen, haben die was mit Kranken zu tun?
Es gibt ein Feld der klinischen Psychologie. Die beschäftigen sich damit, was schief laufen kann und worunter Menschen leiden. Es gibt Psychologen die forschen an psychologischen Erkrankungen und – Achtung – es gibt auch Psychotherapeuten, die haben nochmal eine extra 3-jährige Ausbildung, die beschäftigen sich mit der Therapie der Erkrankungen.
Was sind Psychiater?
Das sind keine Psychologen, das sind Mediziner*innen. Die können auch Medikamente verschreiben im Gegensatz zu den Psycholog*innen.
Kennst Du Dich mit Medizin und anderen Themen aus?
Zwei Semester des Studiums belegte ich auch Kurse der Medizin. Auch die Soziologie ist wichtig und spannend. Die Psychologie ist ohne die Umwelt so nicht denkbar, daher ist die Umwelt sehr wichtig und man muss auch was von ihr verstehen um die Auswirkungen auf die Psychologie nachvollziehen zu können.
Ist Rassismus Teil der Psychologie?
Da die Psychologie auch schaut was auf Menschen wirkt, wie Machtstrukturen und Milieus etc auf die Menschen wirken, gehört das auch dazu. Gibt Leute die analysieren auch Dinge wie Rassismus ausführlich. Generell das Evaluieren ist eine der Lieblingsbeschäftigungen der Psychologie.
Sind Psycholog*innen auch Handlungsempfehler*innen?
Ja, weil sie viel evaluieren. Gutes Beispiel dafür sind die Empfehlungen für die Arbeitgeber*innen in den Fabriken des 19. Jahrhunderts, dort hat man geschaut wie die Arbeitsbedingungen verbessert werden können und hat viel erreicht.
Kannst Du mich als Psychologin gut analysieren und Verhalten deuten?
Ich kann Deine Gedanken nicht lesen, das wird uns auch nicht beigebracht 😀 Und wir sind auch nicht besser darin, als andere Menschen das Verhalten zu analysieren. Ein Ethos ist auch, dass ich Menschen ohne Fragestellung nicht diagnostizieren soll. Bei Freunden schon gar nicht. Daher: Nein, wir Psycholog*innen analysieren unsere Umwelt nicht fortlaufend und können auch keine intimen Dinge herauslesen.
Ist Psychologie eine gute Schule für Menschenkenntnis?
Nein, Empathie kann man nämlich nur ganz schlecht lehren. Daher eignen sich auch nicht alle Menschen als Therapeut*innen. Psychologie ist viel mehr Mathe und Statistik. Große Studien mit vielen Menschen müssen von den Zahlen her strukturiert und zusammengefasst werden. Man muss die Werte ordnen und auch mal einen Durchschnitt nehmen. Fragen wie: „Was ist noch im „normalen“ Rahmen?“ müssen mit Zahlen belegt werden können. Daher ist die Psychologie eine gute Schule für Mathematik.
Was ist die Massenpsychologie?
Die beschäftigt sich damit wie Menschen als Teil einer Masse reagieren und wie die Menschen als Masse reagieren. Interessant für Sicherheitskonzepte wie Brandschutz oder Veranstaltungen. Oder bei Erste-Hilfe-Situationen: Warum hilft jemand eher, wenn die Person alleine mit der hilfebedürftigen Person ist, als wenn es in einer belebten Innenstadt der Fall ist?
Wo braucht es Psychologie?
Überall dort, wo Menschen sich verhalten. In der Politik, Arbeit, Psychisch Erkrankten, Kulturforscher, Marketing etc. Es gibt einen Witz über Psycholog*innen: Steigt ein Psychologe in ein Taxi und der Taxifahrer fragt: „Wohin soll es gehen?“ – „Egal – ich werde überall gebraucht!“.
Was für eine Wissenschaft ist die Psychologie?
Eine Naturwissenschaft die viel mit Empirie, Beobachtungen und Beweisen arbeitet. Oft wird halt nur mit „Wahrscheinlichkeiten“ geantwortet. Also „Es ist mit 20% wahrscheinlich, dass XXX passiert und mit 50% XXX und der Rest XXX“. Wir müssen genau schauen, wie wir messen und was wir messen. Weil die Instrumente auch einen Einfluss haben. Beispielsweise reagieren Kinder anders auf Fotos als Erwachsene und dieser Effekt könnte einiges am Ergebnis verzerren.
Wie läuft so ein psychologischer Test ab? Ein Beispiel?
Ich habe ukrainischen Kindern Sticker mit allerlei Dingen darauf gegeben um Werteeinstellungen zu messen. Auf den Stickern waren Bilder von beispielsweise Betenden, Königen, Schenkenden etc. Also emotionalisierenden Werten. Manche Werte hängen eng zusammen, andere nicht. Diese Struktur wollte ich finden. Die Kinder sollten sie nach Wichtigkeit sortieren. Mit einer multivariablen Skalierung habe ich sehen können, wie stark diese Werte zusammen hängen. Beispielsweise waren Selbstoptimierung und Machtbewusstsein eng beieinander, im Kontrast dazu war Machtbewusstsein und jemanden etwas zu geben gar nicht eng beieinander. Was aber nicht zwingend heißt, dass es bei jeder Person so sein muss. Das beschreibt lediglich Häufigkeit.
Wenn ich herausfinden will, warum Flaschenwasser so gut ankommt?
Spontan fällt mir folgendes Testmodell ein: Was verbinden die Menschen mit dem Wasser und was erhoffen sie sich davon? Und was erhoffen sie sich bewusst und was unbewusst? Bewusst können sie sich sagen: Die Qualität ist gut. Unbewusst ist aber das Wasser ein Statussymbol. Das sollte auch angesehen werden. Dann würde ich eine kleine Vorstudie mit wenigen Menschen machen und sie befragen. Dann würde ich ihnen Leitungswasser in verschiedenen Behältnissen anbieten. Plastikfalschen, Glasflaschen, schöne Flaschen, weniger schöne Flaschen etc. Dann danach fragen, welches am besten mundete, obwohl es alles das gleiche Wasser ist. Mit Vorstudien sehe ich, welche Forschungsansätze viel versprechend aussehen. Dann kann ich die Studie größer angehen und Blindverkostungen angehen etc. Weil es nicht „gute“ oder „schlechte“ Probanden gibt, sondern nur repräsentative und weniger repräsentative Probanden muss man schauen, dass man möglichst viele erwischt. Früher wurde die Psychologie dafür kritisiert, dass sie hauptsächlich junge Männer als Probanden hatte und heute sind es vermutlich weibliche Studierende, einfach weil sie am einfachsten zu bekommen sind. Aber das darf nicht sein, da braucht es mehr Durchmischung für eine repräsentative Studie.
Haben Psychologen einen Vorteil in der Politik?
Bedingt. Dafür ist es zu komplex und man wird ja nicht zum „super Menschenmanipulator“. Man kann evaluieren, aber komplexe Interessenslagen abzuwägen ist nicht so einfach. Mal eine singulare Sache genau ansehen und erforschen, das würde mir politisch helfen, aber das würde ewig Zeit in Anspruch nehmen und hilft beim Markt der Interessensabwägung nicht wirklich. Es hilft aber ungemein, wenn man Studien liest und politische Entscheidungen darauf basierend trifft, dann kann ich die Qualität der Studien gut einschätzen.
Würdest Du gerne die Daten von Facebook oder Google für Forschung nutzen?
Große Datenmengen sind natürlich der feuchte Traum von Psycholog*innen, aber wir müssen auch den Datenschutz ernst nehmen, denn wir haben eine Verantwortung. Man könnte ja anonymisieren, aber sobald wir alle relevanten Daten verknüpft vorliegen haben, ist es einfach herauszufinden wer hinter den Daten steckt. Beispiel: Wenn dort ein Datensatz ohne Name der Person steht, aber dort steht: Geboren am XX.XX.XXXX, hat eine Tochter geboren am XX.XX.XXXX, fährt gerne Rad, mag Pferde, hat geheiratet am XX.XX.XXXX und geboren in XX, lebt in XX, hat XX-Studium mit XX abgeschlossen im Jahr XXXX und mag die und die Filme, dann wird irgendwann klar wer hinter diesen Daten steckt. Man könnte zwar viel herausfinden und die obigen Infos sind noch mehr oder weniger unverfänglich und weniger intim, aber wenn man Krebsforschung oder andere intime Dinge erforschen will, dann wird es brenzlig. Gerade wird darüber geredet ob das Interesse des Datenschutzes größer wiegt als das Interesse der Gesundheit der Gesellschaft. Man könnte vielleicht einiges herausfinden, aber es ist eine große Frage des Datenschutzes.
Marina, Danke für das Gespräch. Bei weiteren Fragen: Schreibt uns: fionn@achdeswegen.de
Danke Dejan Mihajlović für die Unterstützung und Vermittlung von Marina und Fionn. Hier die Webseite von Dejan: https://mihajlovicfreiburg.com