mit Susanne Güntner, Diplom Sozialpädagogin
Die Zusammenfassung dient als Orientierung über das gesprochene Wort im Podcast, ersetzt ihn aber nicht und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die schriftlichen Antworten sind nicht im Duktus meiner Gäste gehalten. Es zählt nur das gesprochene Wort im Podcast.
Was ist die Offene Kinder- und Jugendarbeit?
Ein großer, sperriger Begriff. Die OKJA ist ein Teil der Jugendhilfe.
Jugendhilfe?
Junge Menschen haben ein Recht auf Erziehung und die OKJA ist da ein kleiner Teil davon.
Was heißt „offen“ in dem Kontext?
Für alle Kinder und Jugendliche. Unabhängig vom Hintergrund und kostenfrei* und freiwillig. Und die Beschäftigung wählen die Kids selber. *von Sonderangeboten wie „Freizeitparkbesuch“, da werden kleine Selbstkostenbeteiligungen fällig.
Kommen immer die gleichen?
Junge Menschen sind oft Cliquen-orientiert. Und das sieht man auch bei uns. Klar. Oft ist das ein Kritikpunkt: Ihr seid ja gar nicht so offen, weil durch die Cliquen schreckt Ihr auch ab. Da müssen die Kids sich auch durchsetzen und neu einfinden.
Gibt es nicht-offene Kinder- und Jugendarbeit?
Klar. Es gibt z.B. die verbandliche Kinder- und Jugendarbeit oder die Vereine. Da geht man hin, weil etwas angeboten wird, was genau meinen Interessen entspricht. Und es wird auch nur das angeboten. Sonst nix. In der OKJA ist es so, dass man vorbeikommt und erstmal guckt, was geht. Fußballvereine sind also kein Teil der OKJA, was aber nicht heißt, dass wir nicht Fußball spielen.
In meinem Jugendtreff haben die Betreuer sich immer einen faulen Lenz geschoben. Juze aufgeschlossen und erstmal nix getan.
Ja, den Vorwurf, das Unverständnis kenne ich. Aber genau das ist ja Teil des Konzeptes: Erstmal einen Raum anbieten und die jungen Leute herausfinden was sie machen möchten. Zudem stehen wir als Ansprechpartner für Gespräche, Hilfestellung für die Freizeitgestaltung oder oder zur Verfügung. Die Kids verbringen hier ihre Freizeit und kommen bspw von der Schule und möchten reden über das, was sie bewegt. Mein Da-Sein soll unaufdringlich sein. Das macht es schwer, von außen unsere Arbeit zu verstehen.
Bietet Ihr auch fixe Rahmenprogramme an?
Das Kernangebot ist unsere offene Tür, mit Tischkicker, PCs, Thekenbereich, Chill-Ecke etc. Aber wir bieten auch feste Gruppen an. Beispielsweise die Mädchen- oder Jungengruppe. Oder Kids melden ein Bedürfnis wie: „Wir wollen eine feste Fußballgruppe“ oder „Wir wollen Modedesign“. Dann gucken wir, wie wir das befriedigen können. Oft holen wir auch externe Hilfe von Leuten die sich damit auskennen.
Kommen die Kids direkt nach der Schule?
Teilweise. Durch die aufkommende Ganztagesschule verändert sich das etwas, aber ja, einige kommen direkt, andere gehen erst kurz nach Hause und kommen dann. Im höheren Alter, die OKJA geht ja bis 27 Jahre, gibt es auch den Abendtreff. Da kommen sie teilweise auch direkt nach der Arbeit zu uns.
Nachfragen und kümmern sind doch eigentlich Aufgabe der Eltern. Oder nicht?
Solche Aufgaben wie Trösten, Zuhören und Wärme übernehmen wir schon. Aber wir haben ja eine ganz andere Position. Wir sind keine Eltern oder Familienmitglieder. Wir können damit auch ganz anders sprechen mit den Kids. Ich kann andere Dinge zutrauen und sie anders „anfassen“. Und es gibt Jugendliche die teilweise ja auch schon Eltern sind.
Wie sehr könnt Ihr schimpfen? Wie sehr müsst Ihr Euch „einschleimen“ um die Kids nicht zu verlieren?
Das ist eine der größten Aufgaben: Wenn Kids Probleme bei uns verursachen durch unflätiges Verhalten, Krawall oder dergleichen, dann müssen wir ja auch konsequent sein und auch Konsequenzen ziehen. Wohlwissend, dass sie ja hier nur freiwillig sind und die Kids dann ggfs. nicht mehr zu uns kommen. Das Jugendhaus ist ein kleiner Mikrokosmos. Und hier können sich die Kids auch ausprobieren. Das gehört zu diesem Alter dazu. Krawall machen, gehört dazu. Hier können sie auch Wiedergutmachung üben und erfahren. In der Welt da draußen, ist das deutlich schwieriger.
Warum gibt es nicht-offene Angebote bei Euch?
Nun ja, das sind am Anfang schon offene Angebote. Also wenn Kids eine Fußballgruppe gründen wollen, dann ist die anfangs offen. Am schwarzen Brett wird es auch ausgehängt und wir gucken, dass die Kids sich beteiligen. Aber wenn die Gruppe Mal voll ist, dann ist sie eben voll. Das würde sonst schwierig werden. Da lernen dann die Kids dabei das Organisieren, lernen dass „wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ die Konsequenz ist. Und vieles mehr. Ist nicht als Gängelung zu verstehen.
Polizei, Eltern, Schule, Jugendamt? Wie offen seid Ihr denen gegenüber?
Wir sind schon die Anwaltschaft für die Kids. In erster Linie. Ganz selten mit Eltern zu tun. Im Fokus steht der Jugendliche/junge Mensch. Eltern fragen öfter nach, das merken wir. Da reden wir auch mit denen, aber wir machen unsere Funktion dann gleich klar. Wir sind gut vernetzt im Stadtteil. Wir haben auch Projekte mit der Schule. Wir sind aber keine Dienstleister für andere. Eine Vernetzung hilft dann auch, wenn ich merke, dass beispielsweise das eine Mädchen aus meiner Gruppe ein sehr gutes Rhythmusgefühl hat und ich ihr ein Angebot außerhalb der OKJA anbieten kann, bei bspw einer Tanzschule.
Apropos Bedürfnisse. Sprecht Ihr auch Bedürfnisse an, die dem Kind nicht bewusst sind? Beispielsweise weniger Cola zu trinken?
Also Essverbote oder Rationierungen machen wir nicht. Aber wir sprechen es schon mit den Kids an, wenn wir merken, da geht das ganze Taschengeld für Süßkram etc drauf. Hier kommt die Beziehungsarbeit ins Spiel. Übrigens, bei uns im Treff gibt es überhaupt keine Chips und Cola, aus gesundheitlichen Gründen. Dann beschweren sich manche, dass sie es zu Hause ja dürften und warum hier nicht. Dann begründen wir das mit: anderes Haus, andere Regeln.
Thema Musik: Was erlaubt Ihr?
Ich kann frauenverachtende Musik nicht leiden. Ist zwar gerade in der angesagten Musik total verbreitet. Ich merke das nicht immer gleich, aber die Kids schauen dann immer schon etwas schuldbewusst in meine Richtung und dann höre ich genauer zu 🙂
Geschlechter-Gerechtigkeit? Wichtig?
Ja! Ist eines der Arbeitsprinzipien der OKJA. Das ist aber auch meine persönliche Meinung. Wir sagen dann: Hier dulden wir das nicht.
Es gibt die Arbeitsprinzipen der OKJA. Wir gehen die Mal durch.
Offenheit: siehe oben.
Geschlechtergerechtigkeit: siehe oben. Wir legen großen Wert auf eine diskrimierungsfreie Zone.
Freiwilligkeit: Sie kommen freiwillig hier her. Sie bestimmen selber ob sie kommen, wie lange sie kommen und wie oft und regelmäßig. Das gilt selbst für die „geschlossenen“ Angebote. Sie bestimmen auch, was sie tun.
Partizipation: Sie können das Programm bestimmen. Sie können sagen: Wir wollen eine Graffiti-Gruppe machen und das erlernen, dann schauen wir, dass das nach Möglichkeit geht. Auch die Beteiligung am Thekendienst.
Lebenswelt- und Sozialraum-Orientierung: Wir sind ja Teil des Stadtteils. Die Kids müssen sichtbar werden im Stadtteil und dass sie sich verstehen als Teil des Gemeinwesens. Ein Beispiel: Sie wünschten einen Bolzplatz und wir haben als Ansprechpartner versucht die Ansprechpartner in Politik und Verwaltung zu organisieren und kontaktieren. Schlussendlich hat das geklappt, zusammen mit dem Engagement der Kids, dass ein Bolzplatz errichtet wurde.
Mal paar Beispiele:
Wie geht Ihr damit um, wenn Jugen dliche sehr aufreizend gekleidet kommen?
Mode ist individuell. Aber das ist immer wieder ein Thema. Wir sprechen dann darüber, damit auch sichtbar ist, dass es sehr kurz ist oder oder.
Wie geht Ihr mit Gewalt um?
Schlägereien werde nicht geduldet. Das ist eine der Regeln. Die müssen dann gehen und je nachdem wie schlimm es war, gibt es auch Mal ein Hausverbot. Aber das ist das letzte Mittel. Damit gehen wir sehr sorgsam um. Das Hausverbot ist das größte Druckmittel. Das Hausverbot wirkt aber, das ist eine hohe Strafe. Der Jugendliche bekommt dann ein Gespräch und einen Brief an die Eltern. Es gibt ja immer auch die Möglichkeit der Wiedergutmachung. Hausverbote gibt es jetzt aber nicht bei Beschimpfungen gegen Betreuer*innen. Das ist keine persönliche Beleidigung. Das müssen wir ausdiskutieren und aushalten.
Habt Ihr Hausmeisterstunden?
Wiedergutmachung haben wir. Wenn jemand was kaputt macht, dann muss er kommen und reparieren.
Wenn die Jugendlichen Dich im Alltag sehen, hast Du ja nie Feierabend?
Mein Beruf hat etwas von dem Beruf des Pfarrers. Wenn ich unterwegs bin, dann bin ich ansprechbar. Wenn ich das nicht will, dann gehe ich an meine „geheimen Orte“.
Wie lange geht die Betreuung? Wie alt können die Jugendlichen maximal sein?
Da kommen auch oft noch Erwachsene, die früher bei uns waren. Die kommen abends auf einen Kaffee vorbei und erzählen was aus Ihnen geworden ist. Wir haben ja hier mehrere Generationen, teilweise. Ist auch spannend, wie wir dann über vergangene Zeiten reflektieren können.
Wollt Ihr manchmal Lebensläufe von Jugendlichen retten?
Es gibt einfach so viele Brüche von Lebensläufen und schwierige Phasen. Das muss man dann auch Mal aushalten als Pädagog*in. Wir begleiten das, wir bieten Gespräche und Hilfen und Denkanstöße an. Ich muss es aber auch aushalten können, junge Menschen scheitern zu sehen. Ich lenke keine Lebensläufe. Ich begleite. Übrigens, die meisten bekommen die Kurve.
Helft Ihr den Kids auch bei der Auswahl des Freundeskreises?
Die Persönlichkeitsbildung ist Teil der Entwicklung. Wenn die in einem Freundeskreis sind, der etwas arg viel Probleme macht, dann hat das ja auch einen Grund. Meine Mutter hatte immer zu mir gesagt, ich sei der Gosse näher als andere. Das hatte einfach eine Anziehungskraft. In besonderen Fällen sprechen wir das aber auch Mal an, welche Rolle der junge Mensch in der Clique hat. Aber Sätze wie „Halte Dich fern von denen“, sagen wir nicht.
Kommen zu Euch nur die Troublemaker?
Die meisten sind sehr lebendige Kids. Negativ formuliert, kann man sagen, dass es die Troublemaker sind. Aber es gibt auch viele zurückhaltende Kids. Die Gymnasialempfehlungs-Kinder sind viel mehr geworden. Fast jeder Stadtteil hat ein Jugendhaus. Daher kann es sein, dass die Hauptgruppen je nach Stadtteil aus anderen Milieus kommen. Nur Troublemaker bei uns? Nein, so sehe ich das nicht.
Was ist, wenn nur eine homogene Gruppe kommt?
Wenn die Gruppe kommt, dann ist es tatsächlich so. Die bleiben dann auch paar Jahre. Wir haben keine große Fluktuation. Da kommen mal neue Freunde dazu etc. Das entspricht dem Jugendalter: Ich möchte mit meiner Clique sein. Das Jugendalter geht eben auch paar Jahre. Wir gehen aber nicht auf der Suche nach neuen Jugendlichen zur Durchmischung.
Habt Ihr mal ne Flaute gehabt? Dass niemand kam?
Nein. Das war bei mir noch nie so. Es kam immer jemand. Es gibt mal Tage wo weniger los ist, aber dass niemand niemand kam, gab es bei mir noch nie. Man merkt, dass die Ganztagesschule etwas verändert hat. Die Kids wollen dann meist nur noch chillen, weil sie ja den ganzen Tag schon Input hatten. Wenn weniger los ist, kann man auch mal intensivere Gespräche führen.
Geht Ihr Mal raus und bietet außerhalb des Hauses was an?
Es gibt Mal Spielenachmittag außerhalb oder bei Festen. Das ist aber bei verschiedenen Häusern unterschiedlich. Ich spreche jetzt nur für uns.
Ist das Spielmobil auch OKJA?
Ja, ist zwar spezialisiert auf Spielen, aber ja, ist es. Die Arbeitsprinzipien passen ja dazu.
Zeigt Ihr Jugendliche auch Mal an, wenn es Stress gibt?
Nein! Wir verstehen unsere Funktion als eine anwaltliche Funktion. Wenn es um das Kindeswohl geht, ist es auch möglich, dass wir mal mit dem Jugendamt sprechen.
Welche Ausbildung hat man typischerweise in der OKJA?
Ich habe Diplom Sozialpädagogik studiert und das gibt es ja nicht mehr. Heute ist da im Rahmen des Studiums Soziale Arbeit. Als Honorarkraft kann man auch hier und da ergänzend mitarbeiten. Ein gutes Führungszeugnis braucht man auch.
Woran kann OKJA scheitern?
Gute Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig. Es muss klar gemacht werden, dass OKJA wichtig ist. Wir bekommen öffentliche Gelder, das ist nicht für alle Einrichtungen so, aber damit wir genügend Geld haben, müssen wir die Bedeutung klar machen.
Man muss auch up-do-date sein. Mit den Neuigkeiten in der Welt. Arbeitswelt, Musik, Anforderungen junger Menschen an die Welt und von der Welt an sie, Höflichkeitsvorstellungen.
Man muss sich auch gut inszenieren in der OKJA mit den jungen Menschen. Damit man ein gewisses Standing auch hat und eine Rolle spielt.
Macht Ihr Erhebungen über die Kids?
Ja, für die Stadt dokumentieren wir wie viele Kids kommen und was für Themen gerade wichtig sind. Von Hochschulen kommen auch immer wieder Studierende. Solche Dinge passieren schon, aber wir arbeiten nicht ohne Anlass und geben die Daten weiter an die Hochschulen und sagen: „Hier, wir haben was gesammelt. Macht was Ihr wollt!“.
Was ist Dein schönstes Erlebnis?
Die kleinen Kinder verstehen manchmal gar nicht, was das Jugendhaus so richtig ist. Die denken, ich würde hier wohnen oder wir als Team wären verheiratet oder sonst wie verbandelt. Die sind auch oft erstaunt, dass wir Geld dafür bekommen. Und wenn ich Geburtstag habe und Dienst, dann freuen die sich, dass ich den Geburtstag mit ihnen feiern will. So denken sie das zumindest.
Susi, Danke für das Gespräch. Bei weiteren Fragen: Schreibt uns: fionn@achdeswegen.de
Danke Julian Mutter für die Unterstützung beim Dreh und die Making Of Fotos: https://www.instagram.com/julian.mutter/