mit Walter Krögner, Mitglied des Gemeinderates in Freiburg.
Die Zusammenfassung dient als Orientierung über das gesprochene Wort im Podcast, ersetzt ihn aber nicht und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die schriftlichen Antworten sind nicht im Duktus meiner Gäste gehalten. Es zählt nur das gesprochene Wort im Podcast.
Viele Details sind nur verständlich für Baden-Württembergische Kommunen. Daher: Dieser Podcast dient exemplarisch und als Einblick in ein System in Deutschland. Nicht als Mustervorlage. Einfach Mal um einen Eindruck zu bekommen, wie es laufen kann.
Wie machst Du Politik in Freiburg?
Ich bin Mitglied im Gemeinderat seit rund 20 Jahren. Das ist Kommunalpolitik. Politik, die das Leben vor Ort beeinflussen. Das ist im Übrigen ehrenamtlich, zwar mit einer Aufwandsentschädigung, aber wir sind keine Berufspolitiker.
Kannst Du die Rente meiner Oma erhöhen?
Nein, weil das ist Bundespolitik und Aufgabe. Ich könnte über Anträge in meiner Partei auf Kreis-, dann Landes-, dann Bundesebene etc Wirbel für höhere Renten machen. Was die Kommunal-Ebene machen kann ist, dass sie prüft ob Deiner Oma Grundsicherung oder Wohngeld zusteht. Das sind wir die ausführende Ebene. Politisch gesehen habe ich da keinen Einfluss. Bundespolitik, entschieden in Berlin.
Kannst Du in der Schule das Fach Finanzlehre einführen?
Nein, für die Lehrpläne in z.B. Freiburger Schulen sind die Landespolitiker*innen zuständig.
Gibt es eigentlich eine Ebene über der Bundespolitik? Europapolitik, oder? Gibt es eine Weltpolitik?
Auf Weltebene gibt es keine Gesetzgebungskompetenzen. Thema Menschenrechte und Zwischenstaatliches, Krieg, Freizügigkeit und so weiter, da gibt es die UNO Vereinbarungen (keine Gesetze!). Da hält sich nicht jeder dran.
Dann gibt es Straßburg/Brüssel. Europapolitik. Die haben Gesetzgebungskompetenz, das wirkt sich bis auf uns in die Kommune. Zwischen der Europapolitik und Bundespolitik gibt es keine weitere Ebene. Dann gibt es die Bundespolitik. In Deutschland sind wir ja ein Bund, also ein Zusammenschluss verschiedener Länder. Und die Länder haben eigene Gesetzgebungskompetenzen. Drunter gibt es in Baden-Württemberg dann noch die Kreise und kreisfreien Städte und in großen Städten gibt es oft noch Ortschaftsräte.
In Gemeinden, Kreisen und kreisfreien Städten gibt es keine Parlamente. Wir erleben die Kreisräte, Gemeinderäte und Ortschaftsräte als Parlamente, aber sind genau genommen nur Teil der Verwaltung (Exekutive). Wir sehen uns schon als Kontrollgremium, aber wir sind rechtlich Bestandteil der Exekutiven.
Warum staffelt man das so tief und welche Logik hat die Aufteilung?
Das ist das Subsidiaritätsprinzip. Es soll auf der Ebene entschieden und ausgeführt werden, auf der es am besten gemacht werden kann. Beispiel Straßenverkehr: Die Kommune vor Ort weiß am Besten Bescheid wo die Straße lang soll, wie schnell sie befahren werden soll und wo Ampeln nachgerüstet werden müssen. Das auf Europa-Ebene, beispielsweise, anzusiedeln würde nicht nur die Kapazitäten sprengen, sondern die wären auch überfragt, weil sie nicht vor Ort wären.
Wenn wir beim Thema Schulen sind, dann sagt man sich: Da wäre es schon gut, wenn zumindest landesweit, der gleiche Bildungsstand herrscht. Daher Landesebene. Wenn da jede Kommune ein eigenes Süppchen kochen würde (mal vom riesigen Aufwand pro Gemeinde abgesehen), wäre Chaos beim Informationsstand.
Beim Thema Verteidigung (Armee), ist natürlich die höchste Ebene in einem Staat zuständig.
Auch wichtig: Von den Nazis haben wir bitter lernen müssen, dass es diese Aufteilung nicht gab und damit durchregiert werden konnte. Ungeteilte Macht war das. Mit dem heutigen System kann man nicht „durchregieren“ und alles gleichschalten. Das System ist damit auch eine Sicherheitsbarriere.
Können wir Gesetze im Gemeinderat beschließen?
Nein. Wir sind ja kein Parlament. Bei uns gibt es Satzungen und Beschlüsse. Wirkt sich aber ähnlich aus wie ein Gesetz.
Von der Idee bis zur Ausführung. Angenommen ich möchte Fahrradparkgebühren* einführen? Wie gehe ich da vor?
*ist natürlich Quatsch und sollte die Folge auflockern, leider hat sie etwas Verwirbelungen gesorgt. I’m sorry.
Nimm‘ Kontakt zu Stadträten auf. Wenn Du die dann überzeugt hast, dann formulieren die vielleicht einen Antrag. Wenn das nicht so schnell geht, dann muss man vielleicht mehr Gemeinderäte überzeugen. Es gibt im Gemeinderat Fraktionen. Das sind Gruppierungen mit Räten die ungefähr die gleiche politische Richtung haben. Wenn Du also ein Mitglied überzeugt hast, dann kannst Du versuchen dieses Mitglied dabei zu unterstützen seine Fraktionsmitglieder zu überzeugen. Wenn das nicht klappt, vielleicht interfraktionell was probieren. Am besten parallel alle bearbeiten.
Anderes Beispiel: Ich möchte einen Radweg breiter und besser markiert haben. Wie geht das? Angenommen ich habe Deine Fraktion bereits davon überzeugt. Wie geht es weiter?
Wir können als eine Fraktion, wir sind 8 von 48 Mitgliedern im Gemeinderat, keine Mehrheit entscheiden. Wir könnten dann eine Demonstration und Zeitungsinterviews geben und Rabatz machen. Kleiner Anlass, zugegebenermaßen. Daher machen wir das in dem Fall anders: Wir machen uns auf die Suche nach anderen Fraktionen die das Anliegen unterstützen würden. Schreiben eine Rundmail dazu und bekommen dann Rückmeldungen. In der Rundmail steht unser Antrag für die Sitzung schon fertig. Wenn eine Fraktion das gut findet, unterschreibt die verkehrspolitische Sprecher*in den Antrag und die Fraktionsvorsitzenden. Dann wird für die Verwaltung klar, dass es ggfs eine Mehrheit gibt. Dann stellt die Verwaltung die Mittel schon Mal aus dem Budget frei. Diese Anträge und Formulierungen machen die Menschen auf der Geschäftsstelle.
Ihr stellt dann den Antrag, damit es auf die Gemeinderatssitzung kommt. Dann kommt es meist in der übernächsten Sitzung drauf. Wenn es ein aufwendigerer Antrag ist, dann ggfs auch später. Weil die Verwaltung muss den Antrag ja vorbereiten und wir wollen ja, dass es in der Sache gut gemacht wird und daher geben wir gerne die Zeit dazu.
Wer kann einen Antrag einbringen? Nur Fraktionen oder Stadträte?
Wenn man keine Mehrheit in der Fraktion hat, dann kann man mit anderen Mitgliedern einen interfraktionellen Antrag einbringen. Eine Einzelperson nicht.
Warum braucht die Verwaltung so lange, um den Radweg auf die Tagesordnung zu setzen?
Im Antrag steht (salopp formuliert): Radweg in der Radwegstraße im Abschnitt Hausnummer 1-5: Breiter und besser markiert. Ja, aber damit gibt es ja viele offene Fragen. In welche Richtung verbreitern? Richtung Gehweg? Richtung Straße? Darf man das oder unterschreitet das eine Mindestbreite eines der Straße oder des Wegs? Da sind dann alles Punkte, die wir als ehrenamtliche Gemeinderäte nicht überschauen können. Da müssen Profis ran. Die sitzen in der Verwaltung. Die checken dann: „Geht das überhaupt?“ und was für Konsequenzen?
Was ist, wenn Du das Gefühl hast, die Verwaltung hat zwar geprüft – aber alles andere als wohlwollend. Eher gegenteilig. Was dann?
Ja, das gibt es manchmal, wenn die Verwaltung nicht will oder der Chef der Verwaltung (Stadtspitze). Wenn die Verwaltung zum Thema dann sagt: Den Radweg könnt Ihr nicht umsetzen ohne Probleme, dann können wir dennoch dafür stimmen und dann muss die Verwaltung kreativ werden und es nach Kräften umsetzen.
Cool. Dann könnt Ihr ja die Rente meiner Oma einfach mit Mehrheitsbeschluss erhöhen?!
Nein, das ist Bundespolitik. Das können wir auch mit Mehrheit nicht bestimmen.
Wenn der Radweg dann beschlossen ist und umgesetzt werden kann. Wer macht das?
Die Stadtverwaltung haben im Garten- und Tiefbauamt Mitarbeiter*innen oder eben externe Handwerksbetriebe.
Wenn ihr gegen den Wunsch der Verwaltung den Radweg beschließt. Dann müssen sie was umsetzen, was sie blöd finden. Was dann?
Wenn die Vorbereitung des Tagespunktes „Radweg“ für den Gemeinderat nicht wirklich gut ist, aus unserer Sicht, dann können wir im Gemeinderat Anträge beschließen, die eine Nachbesserung der Vorbereitung verlangen. Damit die Beschlussvorlage der Verwaltung zu dem Thema Radweg noch besser wird.
Was ist, wenn die Verwaltung wirklich keine Lust hat und einfach nicht umsetzt bzw. sehr langsam?
In der Praxis ist das ja nicht so, aber sollte es so sein. Dann können wir als Gemeinderäte schon drauf schauen und nachhaken. Vielleicht haben sie ja gute Gründe. Wir können dann ggfs. einen „Mahnbrief“ an die Bürgermeister schicken. Und wenn es hart auf hart kommt, wenden wir uns an die Öffentlichkeit mit beispielsweise Zeitungsinterviews.
Habt Ihr viel Einfluss?
Wir entscheiden über viele Dinge, die einen erheblichen Einfluss auf das Leben der Menschen haben. Wir entscheiden über Straßenbahnen, Konzerthäuser, KiTas, Straßenführungen, Kulturförderung, Stadtteile, Wohnungsbau.
Kann man als Bürger*in den Gemeinderat überstimmen?
Ja, wenn man ein Bürgerbegehren hin bekommt, dann kann man einen Bürgerentscheid herbeiführen. In Freiburg braucht ein Bürgerbegehren rund 13’000 Stimmen. Das hat das Land bestimmt. Das sind so und so viele Prozent der Wahlberechtigten.
Wie ist der Gemeinderat aufgebaut?
48 Rät*innen plus der Oberbürgermeister*in.
Wer ist die Regierung?
Naja, das gibt’s so nicht. Oberbürgermeister ist direkt gewählt. Dann gibt’s noch vier weitere Bürgermeister, auch Dezernenten, genannt. Diese haben verschiedene Aufgabenbereiche. Kultur, Finanzen, Umwelt etc. Die sind auch aus verschiedenen Parteien. CDU, SPD, Grüne und auch parteilos. Je nach Fraktionsstärke haben sie Ansprüche auf einen Dezernenten. Das nennt sich das Kollegialprinzip.
Gibt es Regierungsfraktionen?
Nee, nicht wirklich. Das spielt sich manchmal so ein. In Freiburg war in der Vergangenheit die grüne und christlich-demokratischen Fraktion ein, sodass es wie eine Regierung wirkte. Aber das hat sich mit dem neuen Oberbürgermeister und der anstehenden Gemeinderatswahl etwas verändert. Damit gibt es natürlich auch keine Opposition, so wie im Bundestag. Das ist das Reizvolle im Gemeinderat, weil wir einen verstärkten Augenmerk auf Fachfragen legen und weniger mit Parteipolitik. Es gibt also wechselnde Mehrheiten und keine Fraktionsdisziplin.
Wie kommt die Tagesordnung zustande?
Der Oberbürgermeister stellt als Chef der Verwaltung zusammen mit der Verwaltung die Tagesordnung auf. Damit hat er als Mitglied des Gemeinderates eine besondere Funktion. Wir können auch Anträge stellen, dass was auf die Tagesordnung kommen soll. Die Verwaltung stellt selber Punkte ein und wir als Stadträte auch.
Braucht die Verwaltung den Gemeinderat?
Die Verwaltung macht ja auch ohne den Gemeinderat viele Pflichtaufgaben. Es gibt die Aufgabe der Kinderbetreuung, Stadtreinigung etc. Also die Verwaltung ist auch ohne Gemeinderatsaufgaben beschäftigt. Selbst in den Haushaltsberatungen (also was und wie die Stadt Geld ausgeben wird) ist nur ein kleiner Teil vom Gemeinderat mitbestimmt, der größte Teil des Haushaltplanes stellt sich von selber auf. Straßenbeleuchtung ist so ein Posten, der sich selber aufstellt.
Wenn mein Verein ein Kunstrasen will, woher kommt das Geld?
Da gibt es Gelder von der Stadt und vom Sportbund (Landesebene). Dann gibt es eine Prioritätenliste. Manche warten schon länger, andere haben es dringender. Je nachdem. Das kann schon paar Jahre dauern. Wenn es eine Mehrheit gibt, bei den alle zwei Jahre stattfindenden Haushaltsberatungen, mehr Geld für Sport auszugeben, dann kann es schneller geben.
Was ist eine Haushaltsberatung?
Alles was ausgegeben wird, braucht eine Grundlage. Es gibt Gelder vom Bund, Land und auch von Steuereinnahmen aus unserer Kommune. Über dieses Geld und das Ausgeben dieses Geldes entscheidet der Gemeinderat. Mit Haushaltsberatungen. Findet bei uns alle zwei Jahre statt. Also das Geld für die kommenden zwei Jahre wird dann eingeplant und verplant. Mit vielen Gesprächen, teilweise führt eine Stadträt*in bis zu 50 Gespräche mit Vereinen und Institutionen. Sehr anstrengend und intensiv. Das Geld muss gut ausgegeben werden. Der Haushalt umfasst später einen rund 10cm dicken Stapel an Papieren. Wenn jetzt später Ideen und Beschlüsse nach dem Haushalt kommen, dann werden die notiert. Beispiel Radweg. Wenn der bei den Haushaltsberatungen nicht bedacht worden war, dann muss geschaut werden, ob da noch die Puffer ausreichen, wenn die nicht ausreichen, dann werden sie aufgeschrieben und aufgeschoben für die nächsten Haushaltsberatungen. Es kann also sein, dass ein Beschluss lange warten muss, bis es finanziert werden kann. Größere Sachen brauchen eher einen neuen Haushalt und kleinere Sachen, wie beispielsweise ein neuer Mülleimer sind in den Pauschalbeträgen meist drinnen.
Was ist ein Ausschuss?
Es gibt den Gemeinderat und der ist in fachliche Ausschüsse untergliedert. Bau-, Schul-, Verkehrs-, Umwelt-, Kultur-, Personal-, Theater-, Sozial-, Kinder und Jugendhilfe-, etc Auschuss. Je nach Fraktionsstärke sitzen die in den Ausschüssen. Das ist quasi wie ein Minigemeinderat dann. Es gibt zweierlei Aussschüsse: die mit Satzungskompetenz und Beratungsfunktion. Die einen dürfen also Sachen beschließen ohne Gemeinderatsabstimmung, da reicht die Abstimmung im Ausschuss. Und andere beraten das Thema und vorher und geben eine Meinung im Gemeinderat später ab. Der beschließt dann. Themen sind dann Details wie: der Verkehrsausschuss beschäftigt sich mit der Führung der Straßenbahnlinien (Tram). Der Verkehrsausschuss legt den Fokus auf gute Verkehrsführung. Wenn die dann fertig damit sind, guckt sich der Umweltauschuss das Ganze an und sagt dann: Halt mal, achtet darauf, dass es noch genügend Platz für Bäume gibt. Die große Kunst der Verwaltung ist es dann, eine gute Lösung zu finden, sodass der Gemeinderat darüber eine Mehrheit findet. Ausschüsse finden meist sehr gute Lösungen, sodass die Beschlüsse noch besser werden.
Habt Ihr eine Fraktionsdisziplin?
Ich kann nur von meiner Fraktion sprechen. Wir sind nicht immer einer Meinung. Aber wir versuchen geschlossen abzustimmen. Wir reden intern über unsere Haltungen. Wenn ich ganz arg dagegen bin, spreche ich das intern an und enthalte mich oder stimme dagegen.
Was ist die Fraktionsvorsitzende?
Die ist von uns Fraktionsmitgliedern gewählt. Sie ist die Sprecherin für die Fraktion. Und wenn es ganz eilig ist, dann kann sie notfalls für uns mit entscheiden. Mir fällt aber auch kein Praxisfall ein. Sie hat im Gemeinderat nur eine Stimme, sie kann nicht stellvertretend mehrere Stimmen abgeben. Bei ganz, ganz wichtigen Abstimmungen gab es das auch schon, dass Mitglieder krank in den Gemeinderat kamen. Die Stimme des Oberbürgermeisters hat in einer Pattsituation des Gemeinderates doppelt Gewicht. Ansonsten hat er auch nur eine Stimme.
Walter, Danke für das Gespräch. Bei weiteren Fragen: Schreibt uns: fionn@achdeswegen.de
Danke Lotta John für die Unterstützung beim Dreh und die Making Of Fotos: https://www.instagram.com/lotta_john/
Aufgezeichnet am 22. November 2018.