mit Strafrichter Lars Petersen des Amtsgerichts Freiburg im Breisgau
Die Zusammenfassung dient als Orientierung über das gesprochene Wort im Podcast, ersetzt ihn aber nicht und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die schriftlichen Antworten sind nicht im Duktus meiner Gäste gehalten. Es zählt nur das gesprochene Wort im Podcast.
Was ist die Aufgabe eines Strafgerichts?
Als Schöffenrichter muss ich Strafverfahren zusammen mit zwei Schöffen (Laienrichter) entscheiden. Mittelschwere Kriminalität. Bis zu vier Jahren Haft. Brandstiftung, Drogen, sexuelle Übergriffe. Ich muss die Fälle für die ich zuständig bin, terminieren und leiten und dann schauen was nach der Beweisaufnahme herauskommt. Kommt eine Verurteilung raus? Sind wir nicht überzeugt, dass der Sachverhalt nachgewiesen werden kann, wird freigesprochen.
Was gibt es für Gerichte im Strafrecht?
Amtsgericht: Einzelrichter für kleinere Sachen, Schöffengericht bis zu vier Jahren Haft. Landgericht mit 3 Berufsrichter*innen und zwei Schöffenrichter*innen. Oberlandesgericht ist für Spezialfälle und Revisionsinstanz da.
Ist Gerechtigkeit Aufgabe des Gerichts?
Es gibt keine Selbstjustiz, daher müssen Rechtstreitigkeiten vom Gewaltmonopol, dem Staat, entschieden werden.
Was sind Schöffen?
Laienrichter*innen, die gewählt werden. Sie werden wie die Zuschauer erst in der Gerichtsverhandlung das erste Mal mit dem Sachverhalt konfrontiert. Sie haben ein Stimmrecht und damit können sie mich in der Urteilsfindung auch überstimmen. Sie helfen mir bei Dingen wie Bewährungsauflagen oder 12 oder 18 Monate Haft. Damit Volkesstimme dabei ist, gibt es Laienrichter*innen.
Warum braucht es Berufsrichter, wenn sie überstimmt werden können?
Das Verfahren zu leiten und keine juristischen Bock zu schießen, braucht es auch handwerklich versiertere.
Zorn des Volkes wird das über die Schöffen ins Gericht gebracht?
Das sind zu 99% Menschen wie Du und ich, die auch Graubereiche sehen und nicht nur schwarz-weiß. Die Schöffen sind die Stimme des Volkes im Gericht und die Stimme der Gerichtsbarkeit in die Gesellschaft. Sie fungieren auch als Botschafter für Gerichtsentscheidungen im Volk. Man liest ja oft nur die Überschriften und Schöffen helfen dabei, den anderen Menschen das näher zu erläutern. Sie sind Multiplikatoren.
Diebstahl: Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Haft. Wie bekommt man die Strafzumessung hin?
Am Ende einer Verhandlung, nach den Plädoyers. Was bringt der Mensch mit? Hat er Vorstrafen? Bereut er die Tat? Hat er ein Geständnis abgelegt? Wiedergutmachung? Die Strafe muss der Tat und der Schuld angemessen sein. Wenn „alles“ für den Menschen spricht, dann kann auch mal eine Geldstrafe reichen. Wer aber unbelehrbar ist, der muss auch mal eine weitere „Eskalationsstufe“ „fühlen“. Bei der ersten Freiheitsstrafe reicht vielleicht als Warnschuss noch die Aussetzung zur Bewährung. Wenn auch das in der Vergangenheit nicht zum Ziel (Resozialisierung) führte, dann muss die Zeit auch abgesessen werden.
Es gibt Menschen die bekommen 2 Jahre Bewährung und andere müssen für 3 Monate in den Bau. Wie geht das?
Man soll nach Möglichkeit kurze Freiheitsstrafen vermeiden. Weil man dadurch seinen Job, Wohnung etc eventuell verliert und damit die Chancen der neuen Straffälligkeit steigen. Aber wenn jemand immer wieder, „unbelehrbar“, kleine Straften begeht, dann kann das eben auch mal in 3 Monaten Haft enden.
Gibt’s Präzedenzfälle? Gerade auch für’s Strafmaß?
Man hat natürlich über die Jahre Erfahrungen gesammelt über die „handesüblichen“ Strafen. Die Strafzumessung ist die ureigenste Aufgabe des Tatrichters. Weil die individuelle Schuld immer eine andere ist, daher vermeide ich auch die Kommentierung von Fällen meiner Kolleg*innen. Wir entscheiden immer individuell. Und es geht nicht um richtig oder falsch. Es geht um vertretbar oder nicht vertretbare Entscheidung. Der Spielraum ist groß.
Präzendenzfälle sind irrelevant?
Wenn der Bundesgerichtshof BGH über Daumenregeln spricht, bleiben es Daumenregeln.
Wie geht man mit schwammigen Begriffen um?
Begriffe wie „niedere Beweggründe“ beschreibt der Bundesgerichtshof „sittlich auf tiefster Stufe stehend“. Man ersetzt eine Worthülse durch eine neue. Im Familienrecht gibt es Begriffe wie „zumutbar“, „angemessen“ etc. Solche Begriffe werden durch die (Moral-)Vorstellungen des entscheidenden Richter*innen ausgelegt. Richter*innen sind auch nur Menschen. Jede*r Richter und gefühlt jede Instanz entscheidet anders. Wie gesagt, es geht um das Prinzip „Vertretbarkeit“.
Gehst Du immer unvoreingenommen an die Sache?
Der Umstand, das jemand, der bei mir in der Verhandlung sitzt mit großer Wahrscheinlichkeit verurteilt wird, ist nicht überraschend. Das hat auch nichts mit Vorverurteilung zu tun. Denn der Flaschenhals ist hier die Staatsanwaltschaft. Weil die nicht anklagen würde, wenn sie nicht von einer Verurteilung auf Grund der Ermittlungsarbeit ausgehen würde. Wenn die Ermittlungen nichts „Gescheites“ herausgefunden haben, dann würde sie nicht anklagen. Ich prüfe die Anklage, ob sie zugelassen werden soll oder nicht. Wenn die Hauptverhandlung eröffnet ist, ist die Freispruchquote ist damit gering, bei rund 5-10%. Ich lasse mir immer das Ergebnis offen.
Was ist Befangenheit?
Ich dürfte nicht über Strafsachen entscheiden, wenn ich den Menschen persönlich kenne. Dann melde ich das in einer Abteilung des Gerichts an und die entscheiden dann. Oder ich bin selber Geschädigter, dann bin ich auch befangen. Wenn das Gericht sich im Ton vergreift und damit der Eindruck entsteht, das Gericht sei parteiisch. Dann kann es passieren, dass die Verteidigung einen Befangenheitsantrag stellt und dann die andere Stelle im Gericht darüber befindet. Daumenregel: Wenn Außenstehende sagen würden: „Ohjee, da hat das Gericht sich aber wirklich aus dem Fenster gelehnt und nicht objektiv…“, dann wird der Fall dem Richter*in entzogen.
Ist eine Parteimitgliedschaft Basis für eine Befangenheit?
Wenn jetzt der typisch politische Gegner meiner Partei bei mir im Gericht sitzt, dann hat das auch nichts mit der Befangenheit zu tun. Da ist nicht automatisch eine nicht-objektive Haltung des Gerichts vorhanden.
Mündliche und schriftliche Urteilsbegründung?
Die mündliche Urteilsbegründung und Verkündung findet direkt nach der Hautverhandlung, den Plädoyers und dem letzten Wort statt und der anschließenden Beratung des Gerichts (Berufsrichter*innen und Schöffen) statt. Diese spricht den Tenor des Urteils und das Strafmaß aus. Dann begründe ich das alles. Das mache ich mündlich und „frei raus“. Danach habe ich 5 Wochen Zeit es auf Papier zu bringen. Der „Zungenschlag“ der mündlichen Urteilsbegründung ist meist deutlicher als im schriftlichen. Interessant: Weil mit dem Urteil die „Unvoreingenommenheit“ damit nicht mehr benötigt wird, gelten meine deutlichen Worte nicht mehr als befangen.
Strafzwecke?
Es gibt drei Strafzwecke: Sühne, Spezialprävention (also auf den individuellen Täter*in) und Generalprävention (in die Allgemeinheit klar machen, dass Straftaten nicht gemacht werden sollen).
Wissen Richter*innen was Haft ist? Wart Ihr Mal in Haft?
Wir und die Laienrichter*innen fahren immer wieder ins Gefängnis um uns das ins Gedächtnis zu rufen. Ja, es gibt auf der Zelle teilweise Fernseher und nein, es geht nicht darum, dass man bei Wasser und Brot darben muss. Es geht um Freiheitsentzug. Nicht mehr und nicht weniger. Dass wir als Richter*innen aber testweise in Haft gehen, das wäre nur Show, denn eine Strafe kann man nicht simulieren.
Warum beschäftigen sich Richter*innen so mit dem Privatleben der Angeklagten?
Wenn die Angeklagten nichts sagen, außer zu ihrer Person (Name, Adresse, Familienstand etc), dann erfahre ich reichlich wenig. Aber es wäre gerade zu fahrlässig, nichts erfahren zu wollen, weil es um die individuelle Schuldzumessung am Ende gehen kann. Und wie viel Schuld jemand auf sich geladen hat, ist immer davon abhängig was der Mensch in seinem bisherigen Leben gelebt hat. Ich muss die Kenntnisse über die Person auch haben um einschätzen zu können, ob ein Geständnis, Reue, Entschuldigung oder oder authentisch ist.
Wenn die Staatsanwaltschaft oder die Verteidigung der Meinung ist, dass unser Urteil nicht vertretbar ist, kann sie Rechtsmittel einlegen (Berufung oder Revision), oder?
Ja, genau. Typischerweise wenn das Strafmaß deutlich von den Vorstellungen entfernt ist. Dann überprüft eine Instanz über uns das Urteil. Wenn die Instanz über uns dann sagt: ja, da gibt es Zweifel an der Vertretbarkeit, dann geht es wieder zurück. Aber nicht zu mir, sondern zu einem Kolleg*in.
Berufung? Revision?
Berufung heißt: Das Landgericht hat Berufung zugelassen und dann wird alles, alles, nochmal neu aufgerollt. Alle Zeugen noch mal, alle Plädoyers etc. Also die ganze Hauptverhandlung.
Revision heißt: Das Urteil wird auf Rechtsfehler überprüft. Es werden keine Zeugen und Sachverständige geholt. Es wird also nur das Urteil geprüft auf Rechtsfehler. Rechtsfehler sind z.B. die Besetzung der Richterbank ist falsch. Zu wenige Schöffen, falsche Schöffen, falscher Berufsrichter. Oder ich gewähre dem Angeklagten nicht das letzte Wort oder verhandele nicht öffentlich…
Ist es Dir mal passiert, dass Du jemand unschuldig verurteilt hast?
Toi, toi, noch nicht passiert (von dem ich wüsste).
Was würde Dir drohen? Immerhin hast Du damit jemandem z.B. die Freiheit genommen.
Nur, wenn ich bewusst jemanden falsch verurteile. Ein Fehlurteil das nicht absichtlich passiert, ist ein Fehlurteil, da droht mir persönlich nichts. Das System will ja, dass es jemanden gibt, der letztendlich eine Entscheidung trifft und wenn der Mensch immer unter dem Druck steht, selber verurteilt zu werden, obwohl der Mensch gewissenhaft gearbeitet hat, dann gäbe es ein heftiges Problem.
Wann wird öffentlich verhandelt und wann nicht?
Bei Jugendstrafrecht nicht öffentlich. Grundsätzlich öffentlich bei Erwachsenenstrafrecht. Aber es gibt auch nicht-öffentliche Teile wie beispielsweise bei der Vernehmung von Zeugen und Geschädigten. Klassischer Fall: Geschädigte von sexueller Gewalt schildern die Tat nochmal. Oder die Offenlegung von Betriebsgeheimnissen. Da steht der Schutz vor dem öffentlichen Interesse. Danach muss aber die Öffentlichkeit muss hergestellt werden. Wenn das fehlt, kann das ein Rechtsfehler und Revisionsgrund sein.
Was ist, wenn Schöffen oder Berufsrichter*in ausscheiden (durch Tod, Krankheit, Umzug oder oder)?
Dann platzt das Verfahren. Und alles fängt von vorne an. Weil das gesprochene Wort gilt und ein neue*r Richter*in wird sich ja nicht einarbeiten können. Und im Urteil müssen ja die Aussagen der Zeugen gewürdigt werden, also miteinbezogen, die die Richter*in nicht gehört hat. Geht ja nicht. Daher ist das immer ein Risiko.
Kann das eine Möglichkeit der Strategie der Verteidigung sein?
Klar, wird immer wieder probiert mit Beweisanträgen oder oder ein Verfahren zu Platzen zu bringen. Nicht immer wird dabei nur auf die Besetzung der Richterbank gezielt, da gibt es noch mehr Varianten. Aber wenn man das als Gericht nachweisen kann (Terminus Verschleppungsabsicht), kann man als Gericht Beweisanträge einfacher ablehnen. Verfahren in die Länge zu ziehen ist ein legitimer Ansatz. So lange kein Urteil kommt, ist ein Angeklagter unschuldig. Man kann es auch nicht ewig Länge ziehen, irgendwann ist jedes Verfahren zu Ende. In seltenen Fällen droht die Verjährung, da wird dann versucht zumindest eine mittelmäßig befriedigende Lösung zu finden. Nicht zwingend durch eine Verurteilung, durch eine Einstellung unter Auflagen beispielsweise. Stichwort Loveparade-Prozess.
Kannst Du Dir Fälle aussuchen?
Wenn die Staatsanwaltschaft Fälle anklagt, gilt der Eingang (Uhrzeit und Datum) der Klage beim Gericht. Wie die Verteilung an die Richter stattfindet, legen wir vor Jahresbeginn fest. Damit wissen wir nicht, welche Sachen bei uns auf den Tisch kommen. Im Grundgesetz heißt es dazu: Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Art 101
Du sprichst im Namen des Volkes. Heißt es. Aber Du bist doch Staatsbeamter.
Da die Rechtstreitigkeiten in die Hand des Staates gelegt werden müssen, müssen wir es für die Leute im Volk das Urteil sprechen.
Würdest Du gerne mal Staatsanwalt oder Verteidiger sein?
Ich war mal Staatsanwalt und in meiner Ausbildung habe ich auch mal bei einem Anwalt gearbeitet. Und ich finde alles spannend. Aber ich möchte kein Interessenvertreter sein, sondern beide Seiten sehen und ich möchte entscheiden.
Danke Lars für das Interview. Bei weiteren Fragen: Schreibt uns: fionn@achdeswegen.de
Danke Julian Mutter für die Unterstützung beim Dreh und die Making Of Fotos: https://www.instagram.com/julian.mutter/